Unterwegs zu einem Dialog der Religionen

Kardinal Franz König (1905-2004) und Jacques Dupuis SJ (1923-2004) waren Pioniere des interreligiösen Dialogs. Wir dokumentieren im folgenden ein Gespräch zwischen den beiden vom 16. Juli 2003, das Christa Pongratz-Lippitt, Korrespondentin der Wochenzeitung "The Tablet" in Wien, moderierte, aufzeichnete und mit einer Einleitung versehen hat. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt und ausgehend von den Bandaufzeichnungen ins Deutsche übersetzt. Die hier diskutierten Fragen bleiben auch heute aktuell und instruktiv.

Die Redaktion

Anfang Juli 2003 rief mich Kardinal Franz König an, um mir mitzuteilen, daß er einen Brief vom belgischen Jesuiten Jacques Dupuis bekommen hatte. Dupuis wollte wissen, ob es König recht wäre, wenn er nach Wien auf Besuch käme, um ihm persönlich dafür zu danken, daß er ihn mehr als vier Jahre zuvor in der internationalen katholischen Wochenzeitung "The Tablet" (16. 1. 1999) öffentlich verteidigt hatte. Obwohl sie zu der Zeit, als Dupuis' Werk von der Glaubenskongregation untersucht wurde, mehrmals telephoniert hatten, hatten sie sich nie persönlich kennengelernt. König sagte mir auch, daß Dupuis ihn gebeten hatte, einen Artikel über den Stand des interreligiösen Dialogs - besonders was Asien und vor allem Indien betraf - zu schreiben. Er sollte die neuesten Entwicklungen in Rom berücksichtigen - vor allem seit der Veröffentlichung der Erklärung "Dominus Iesus" über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche durch die Glaubenskongregation im Jahr 2000. Dann wollte Dupuis noch wissen, ob der Kardinal sein neuestes Buch "Christianity and the Religions" (2002), welches er König gewidmet hatte, eventuell rezensieren würde. Dupuis hoffte, daß der Artikel und die Buchbesprechung gemeinsam in The Tablet erscheinen könnten.

Der Kardinal war gern bereit, auf Dupuis' Vorschläge einzugehen. Der interreligiöse Dialog hatte ihn immer fasziniert und blieb zeitlebens eines seiner Hauptinteressen. Bereits lange vor der Jahrtausendwende wurde er nicht müde zu betonen, daß der interreligiöse Dialog im dritten Millennium von höchster Priorität sein würde. Er hatte Dupuis' Buch "Toward a Christian Theology of Religious Pluralism" (1997), nachdem es von Gerald O'Collins SJ in The Tablet im Januar 1998 be­sprochen worden war, sofort bestellt und mit allergrößtem Interesse gelesen. "Das Buch hat mich wirklich einige Wochen nicht losgelassen", meinte er hinterher. Er hat mir diese Ausgabe von Dupuis' Buch später geschenkt. Es enthält zahlreiche, am Rand mit Bleistift hingekritzelte Notizen und ein dickes Bündel von Blättern mit Bemerkungen und Fragen.

Etwa im April des folgendes Jahres (1998) forderte die Glaubenskongregation Dupuis auf, einige Fragen bezüglich der theologischen Standpunkte in seinem Buch zu beantworten. König rief mich sofort an und bat mich, den damaligen Chefredakteur von The Tablet in London, John Wilkins, zu fragen, ob er Dupuis in seiner Zeitschrift öffentlich verteidigen dürfe. Obwohl ich bereits mehrere Jahre mit dem Kardinal zusammengearbeitet hatte und seine Ruhe bei unseren Interviews trotz der vielen Fristen, die er einhalten mußte, immer bewundert hatte, war das jetzt plötzlich ganz anders. Der Fall Dupuis ging ihm offensichtlich sehr nahe. Während der Untersuchung bat er mich wegen des Artikels mehrmals, zu ihm zu kommen, aber anstatt wie gewohnt während unserer Arbeit an dem Artikel ruhig in seinem Fauteuil sitzen zu bleiben, stand er oft auf, schritt im Zimmer auf und ab, unterbrach öfters das Gespräch mit der Entschuldigung, er müsse von seinem Schreibzimmer aus mit Rom telephonieren, um etwas zu überprüfen usw. Einmal kam er von einem solchen Telephongespräch sehr blaß zurück. Seine Hand zitterte, als er nach einem Buch griff - was ich weder zuvor noch nachher je wieder bei ihm beobachtete. Wie sich später herausstellte, war ihm der Verdacht gekommen, daß das Buch in Rom nicht gründlich genug studiert worden war, vielleicht, weil es damals erst auf Englisch erschienen war, und möglicherweise keiner der Verantwortlichen in Rom die nötigen englischen Fachkenntnisse hatte.

König rief mich damals auch öfters zwischen meinen Besuchen an, um zu fragen, ob ich neueste Nachrichten vom damaligen Romkorrespondenten von The Tablet, Gerard O'Connell, über Dupuis' Gesundheitszustand hatte, da dieser inzwischen zusammengebrochen war und sich im Krankenhaus befand. Ich habe mehrere Tonbänder dieser ersten Vorbereitungsgespräche für den Artikel "Zur Verteidigung von Pater Dupuis" für The Tablet, auf denen König mir seine Gedanken diktierte. Als ich sie mir jetzt das erste Mal seit damals wieder angehört habe, ist mir klarer denn je geworden, wie erschüttert König war über die Art und Weise, wie Dupuis von Rom behandelt worden war und wie tieftraurig ihn die Vorgehensweise der Glaubenskongregation machte. Bei meinen damaligen Besuchen saß er oft da, schüttelte den Kopf und murmelte: "Wo bleibt der Geist des Konzils?", oder: "Wie konnten sie das einem so loyalen Mann wie Dupuis antun?" Er war fest entschlossen, Dupuis zu verteidigen. Andererseits widerstrebte es ihm zutiefst, sich öffentlich gegen die Glaubenskongregation zu äußern. König war überaus loyal, wenn auch manchmal vielleicht kritisch loyal. Während des ganzen Verfahrens gegen Dupuis konnte man ganz klar beobachten, daß es ihm schlaflose Nächte bereitete. Auch wenn er als Erzbischof von Wien längst emeritiert war, lag die Bürde seines Amtes als Kardinal schwer auf seinen Schultern.

Sechs Wochen später, am 1. März 1999, erhielt Kardinal König einen persönlichen Brief vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Joseph Ratzinger. Dieser zeigte sich sowohl "erstaunt" als auch "traurig" über Königs Artikel "Zur Verteidigung von Pater Dupuis" in The Tablet, und er verteidigte die Glaubenskongregation. Am selben Tag erhielt der damalige Chefredakteur von The Tablet eine Kopie dieses Briefes in englischer Übersetzung von Kardinal Ratzingers Büro mit der Bitte, ihn zu veröffentlichen. Ich konnte Kardinal König überreden, Kardinal Ratzingers Brief zu beantworten, und beide Briefe erschienen in der nächsten Ausgabe von The Tablet.

Seither waren mehr als vier Jahre vergangen. Jacques Dupuis wollte Mitte Juli nach Wien kommen. König schlug vor, daß wir - König, Dupuis und ich - uns vielleicht sogar einen ganzen Tag, und zwar Mittwoch, den 16. Juli, für die Interviews Zeit nehmen sollten. Es war damals außerordentlich heiß, und bereits seit einigen Tagen wurden in Wien täglich mehr als 40° C gemessen. Das war jener Sommer in dem so viele - vor allem ältere - Menschen in Europa wegen der Hitze gestorben waren. Kardinal König war damals immerhin bereits 97 und Pater Dupuis fast 80 Jahre alt. So meinte der Kardinal, daß alles in Ruhe besprochen werden könne, unterbrochen von mehreren Kaffeepausen und einem Mittagessen. Wir waren dann auch tatsächlich den ganzen Tag von 10.30 Uhr bis nach dem Abendessen zusammen. Ich erinnere mich, daß es bereits dunkel war, als der Kardinal uns hinunter zum Taxi begleitete, in dem ich Pater Dupuis zurück ins Jesuitenkolleg führte.

Einige Tage nach diesem Treffen ist Kardinal König während eines Urlaubs in Mariazell gestürzt und hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Trotz stundenlanger Bewußtlosigkeit nach der Operation, hat er sich dann doch wie durch ein Wunder vollkommen erholt und konnte bereits einige Wochen später seine Arbeit wieder aufnehmen. Er besuchte Pfarreien und firmte junge Leute bis etwa drei Wochen vor seinem Tod. Er starb friedlich im Schlaf am 13. März 2004, acht Monate nach dem Treffen mit Pater Dupuis. Er ist nie dazu gekommen, den Artikel und die Rezension, die er mit Dupuis besprochen hatte, zu schreiben, und nur neun Monate nach seinem Tod starb völlig unerwartet auch Pater Dupuis.

Gespräch zwischen Kardinal Franz König und Jacques Dupuis SJ

Dupuis: Es ist besonders wichtig, den interreligiösen Dialog im asiatischen Kontext zu sehen. Die große Frage ist, wie man Jesus Christus in einem Land wie Indien heute verkündigt. Wenn man einmal anfängt von "proclaim" (verkünden) zu reden - ich meine, wenn man tatsächlich das Wort "proclaim" benützt -, dann suggeriert das irgendwie eine Verpflichtung, allen zu verkünden, daß Christus der einzig wahre, universale Erlöser ist, und daß diejenigen, denen man das verkündet, sich zum Christentum bekehren müssen. Die Föderation Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) zieht es vor, das Wort "evangelisieren" zu benützen. Aber manche Mitglieder der Hierarchie - und Rom - benützen oft das Wort "evangelisieren" (to evangelise) für "verkünden" (to proclaim). Man muß ganz klar machen, daß Evangelisierung nicht bloß Verkündigung ist. Evangelisieren heißt zuallererst, christliches Zeugnis ablegen. Zweitens heißt es, sich für Gerechtigkeit und die Befreiung der Menschen von ungerechten Praktiken einzusetzen. An dritter Stelle folgt der interreligiöse Dialog und schließlich - das heißt in der Reihenfolge der Prioritäten erst an vierter Stelle - kommt die Verkündigung (proclamation), so wie es vom Sekretariat für die Nichtchristen, dem heutigen Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog, festgelegt wurde. Im indischen Kontext sind der Einsatz für die Befreiung von Ungerechtigkeit und der interreligiöse Dialog am wichtigsten. Daher kann man Evangelisierung nicht einfach mit Verkündigung gleichsetzen.

Aus diesem Grund waren die Worte Papst Johannes Pauls II. bei der Veröffentlichung des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens "Ecclesia in Asia" in Neu-Delhi am 6. November 1999 gefährlich: Er erinnerte daran, daß die Evangelisierung Europas im ersten Millennium und die Evangelisierung Afrikas und Amerikas im zweiten Millennium stattgefunden hatten. Die Evangelisierung Asiens und Indiens würde nun im dritten Millennium stattfinden. Indem er an die Evangelisierung Afrikas und Amerikas erinnerte, beschwor das Erinnerungen an die Missionierung im Sinn der Kolonialzeit herauf. Im indischen Kontext muß man aber klar machen, daß das Engagement für die Befreiung von Ungerechtigkeit und der interreligiöse Dialog das Wichtigste sind und daß die Evangelisierung an letzter Stelle steht. Wenn man von der "Evangelisierung Asiens" wie von der Evangelisierung Afrikas und Amerikas redet, dann sind das gefährliche Worte in Indien.

Kard. König: Natürlich - äußerst gefährlich. Man darf die Last der Geschichte nie vergessen - in diesem Fall die koloniale Last. Es ist dasselbe mit dem Wort "Missionare". Für viele Asiaten, Afrikaner und Lateinamerikaner erinnert das Wort "Missionar" an weiße, europäische Missionare, die ganze indigene Völker sofort und oft sehr oberflächlich tauften.

Dupuis: Die derzeitige indische Regierung wird von der Partei der Hindu-Nationalisten (BJP) gestellt und ist sehr antichristlich. Im letzten Januar (2003) mußte ich zu einem asienweiten Kongreß der Oblaten der Jungfrau Maria nach Bangkok. Auf dem Rückweg machte ich einen Besuch in Kalkutta, um meine Ordensprovinz zu besuchen. Bevor ich Rom verließ, mußte ich daher um ein Visum für Indien ansuchen. Sie forderten von mir ein offizielles Dokument der Universität (Gregoriana), in dem garantiert wurde, daß ich während meines zehntätigigen Aufenhalts nur Kalkutta und Delhi besuchen und keinerlei religiösen Aktivitäten nachgehen würde.

Kard. König: Das finde ich sehr traurig - Indien ist doch eine Demokratie.

Dupuis: Das ist etwas vollkommen Neues. Es wird von der zentralen Regierung Indiens gesteuert und zeigt, wie antichristlich die momentane Einstellung der Regierung ist. Als ich meinen Provinzial in Kalkutta fragte, ob es mir möglich sein würde, nach Kalkutta zurückzukehren und in meiner Provinz zu wohnen, sagte er: "Vergiß es! Du würdest nie die Erlaubnis bekommen zu bleiben - nie mehr." Und das, obwohl ich 36 Jahre in Indien gelebt habe! Sie würden mir nie erlauben zurückzukehren. Sie sind sehr mißtrauisch geworden. Und deswegen betrachten sie es als Proselytismus, sobald man von "proclamation" spricht. "Proclamation" ist ein sehr böses Wort für sie. Ein Punkt, den Sie vielleicht in ihrem Artikel erwähnen könnten, Eminenz, ist die Wichtigkeit des interreligiösen Dialogs in diesem Kontext. Echter interreligöser Dialog ohne jeglichen Hintergedanken ist der einzige Weg, um Kontakte zu knüpfen.

Kard. König: Die Sache ist die, daß das Wort Dialog bereits so abgenutzt ist - es ist quasi ausgebrannt und scheint heutzutage eine Art Schlagwort geworden zu sein. Ich glaube, man müßte sehr vorsichtig erklären, was echter Dialog bedeutet, nämlich indem man sich gegenseitig befragt und vermeintliche Wahrheiten abbaut, um näher an die Wahrheit heranzukommen.

Dupuis: Möchte jeder in Rom diese Art von Dialog?

Kard. König: Sie sollten es - seit dem Zweiten Vatikanum sollte das jedenfalls der Fall sein. Die Kirche hatte seinerzeit viel zu große Angst vor Fragen und hat daher - besonders in den 100 Jahren vor dem Zweiten Vatikanum - Normen und Gebote zu einseitig betont und die Dynamik echter Fragen und das Suchen von neuen Zugängen zu alten Wahrheiten zu wenig geschätzt. Sie war überzeugt, daß sie eine fertige Antwort für alles parat hatte und Fragen sich daher erübrigten.

Dupuis: Das scheint manchmal noch immer der Fall zu sein.

Kard. König: Das Konzil hat das alles geändert. Wir glauben nicht mehr, daß es außerhalb der Kirche keine Wahrheit gibt, heute weniger denn je; wir sind ein wenig bescheidener geworden. Die letzte Wahrheit ist Gott allein. Durch den Dialog suchen wir die göttliche Wahrheit in unseren Mitmenschen - die alle Geschöpfe Gottes sind.

Dupuis: Darüber müssen Sie bitte schreiben.

Kard. König: Hat Papst Johannes Paul II. vor 14 Tagen, als er die indischen Bischöfe in Rom traf, dieses Problem mit dem Wort "proclaim" erwähnt?

Dupuis: Er hat wieder auf dem Ausdruck "proclaiming Jesus Christ" bestanden. Robert Rodericks, der emeritierte Bischof von Jamshedpur - er ist Jesuit und ein guter Freund - hat mich besucht, als die indischen Bischöfe in Rom waren, und er hat mir über ihr Treffen mit Kardinal Ratzinger und dem Papst erzählt. Beide hätten auf dem Ausdruck "proclaiming Jesus Christ" bestanden. Worauf Rodericks zum Heiligen Vater sagte: Ja, Heiliger Vater, aber Sie müssen das im indischen Kontext sehen. Man kann nicht gleich und sozusagen direkt mit 'verkündigen' beginnen. Zuerst muß man die eigene Botschaft annehmbar machen durch christliches Zeugnis - als Anfang. Und zweitens durch Dialog. Dialog setzt eine positive, offene Theologie voraus.

Kard. König: Natürlich.

Dupuis: Dialog muß theologisch begründet sein. Eine offene Theologie des Dialogs muß echte Werte erkennen - jene Elemente von göttlicher Wahrheit und Gnade, die sich in anderen religiösen Traditionen finden -, und da ist die Glaubenskongregation noch sehr hinter der Zeit zurück.

Kard. König: Ist nicht die Kongregation für die Evangelisierung der Völker auch involviert?

Dupuis: Natürlich. Ihr Präfekt, Kardinal Jozef Tomko, war einer der Kardinäle, die mein Buch anzeigten.

Kard. König: Tomko hat natürlich eine sehr westliche Einstellung zu all dem.

Dupuis: Nehmen wir das erste interreligiöse Friedensgebet in Assisi 1986. Papst Johannes Paul II., Kardinal Roger Etchegaray und alle Verantwortlichen bestanden darauf, daß sie gemeinsam nach Assisi fahren, um zu beten, aber nachher haben sie betont: "Wir haben nicht zusammen gebetet." Zusammen beten mit Nichtchristen - das heißt, wirklich zusammen beten - ist nicht möglich, sagte man. Bei dem zweiten Friedensgebet in Assisi im Jahr 2002 beteten sie auch getrennt - diesmal noch getrennter als 1986. Ich befasse mich im letzten Kapitel meines Buchs "Christianity and the Religions", das ich Ihnen gewidmet habe, mit dem interreligiösen Gebet, und in diesem letzten Kapitel erkläre ich, was die offizielle Position Roms 1986 zur Zeit des ersten Treffens in Assisi war. Dann zitiere ich das Dokument der indischen Bischöfe über den Dialog, in welchem sie sagen, daß das gemeinsame Gebet nicht nur möglich sondern eine Verpflichtung ist. Wo ist also die Wahrheit? Die indischen Bischöfe sind doch wohl auch ein Teil des Weltepiskopats, oder?

Kard. König: Auf welcher Seite ist das? Ich habe das Buch hier.

Dupuis: Das Kapitel beginnt auf Seite 236. Oh, ich sehe, daß Sie das Buch sehr gründlich gelesen haben - schauen Sie, die vielen Randnotizen!

Kard. König: Ich glaube das englische Wort ist "devoured" - das heißt "verschlungen" -, ich habe ihre beiden Bücher verschlungen. Der interreligiöse Dialog hat mich immer fasziniert - bereits als Student. Und jetzt ist er eines der wichtigsten Themen des dritten Millenniums geworden. Könnten wir vielleicht das Treffen von Assisi 1986 als Anfangspunkt des Artikels nehmen und aufzeigen, daß es viele Dinge hinter Assisi gibt?

Dupuis: Das Treffen in Assisi 1986 war sehr wichtig, aber ...

Kard. König: Kardinal Ratzinger war dagegen.

Dupuis: Ja, Kardinal Ratzinger war dagegen. Aber ich wollte eigentlich zurück zu dem, was die indischen Bischöfe gesagt haben: "Eine dritte Form des Dialogs dringt bis in die tiefsten Ebenen des religiösen Lebens und besteht aus gemeinsamem Gebet und Kontemplation. Der Zweck solchen gemeinsamen Gebets ist vor allem die gemeinsame Anbetung des einen Gottes, der uns als eine große Familie geschaffen hat. Wir sind aufgerufen, Gott nicht nur individuell, sondern auch in Gemeinschaft anzubeten, und da wir auf sehr wirkliche und fundamentale Weise eins sind mit der ganzen Menschheit, ist es nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, Ihn mit anderen gemeinsam anzubeten."

Und "mit anderen" heißt ganz klar auch mit Nichtchristen. Wenn daher der Papst in Indien von Evangelisieren redet, muß zuerst klargestellt werden, daß er primär den interreligiösen Dialog meint. Aber am Ende von Dominus Iesus ist vom interreligiösen Dialog in einer beiläufigen Weise die Rede. Sinngemäß heißt es hier, daß, obwohl der interreligiöse Dialog Teil des Evangelisationsauftrags der Kirche ist, die Kirche zuallererst verpflichtet ist, die Wahrheit zu verkünden (proclaim) - und da sind wir ja schon wieder bei der Betonung auf verkünden (proclaim).

Kard. König: Aber welchen Sinn hätte denn dann der Dialog? Echter Dialog muß ehrlich sein. Es darf keinerlei Hintergedanken geben. Selbstverständlich verfolgen die Gesprächspartner einen Zweck. Es soll ja schließlich keine sinnlose Plauderei sein. Zweck ist es, den Gesprächspartner von der Stichhaltigkeit der eigenen Argumente zu überzeugen. Nur trifft natürlich auch das Umgekehrte zu. Man muß ebenso bereit sein, sich von den Argumenten des anderen überzeugen zu lassen - in sie Einblick nehmen zu wollen. Dialog ist nicht ein Versuch andere zu überreden oder zu bekehren - Zweck ist, den Gesprächspartner kennenzulernen und zu erkennen, warum er glaubt, was er glaubt.

Dupuis: Aber für Rom kommt es vor allem auf die Verkündigung (proclamation) an. Dort zitiert man Papst Paul VI., der in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Nuntiandi" sagt, daß Evangelisierung im Grund Verkündigung (proclaiming) ist, und wenn nicht verkündet wird, wird auch nicht evangelisiert.

Kard. König: Mein Eindruck ist, daß am Anfang die Position Papst Johannes Pauls II. Ihrer Position sehr nahe lag, daß er sich aber allmählich von der Glaubenskongregation korrigieren ließ.

Dupuis: Ja, ja. Johannes Paul II. hat eine sehr wichtige Rolle gespielt, indem er das weltweite Wirken des Heiligen Geistes besonders betont hat.

Kard. König: Das sehe ich auch so.

Dupuis: ... nicht nur im religiösen Leben einzelner Christen ...

Kard. König: ... sondern auch in Gemeinschaften ...

Dupuis: ... und auch in Kulturen und anderen Religionen. Für ihn ist der Heilige Geist auch im Hinduismus, im Islam und im Buddhismus gegenwärtig. Meine Frage ist: Was macht der Heilige Geist dort? Ist es nicht das, was das Konzil meinte, als es von jenen Elementen von Wahrheit und Gnade in anderen Religionen sprach?

Kard. König: Ja, das war es.

Pongratz-Lippitt zu Dupuis: Gibt es denn keine Kardinäle in Rom, die so denken wie Sie?

Dupuis: Das ist eine gute Frage. Ich persönlich habe sehr wenig Kontakt zu Kardinälen. Ich kenne Kardinal Francis Arinze, weil ich zehn Jahre Berater des Sekreteriats für die Nichtchristen war. Mein persönlicher Eindruck ist, daß Kardinal Arinze ein besonders netter Mensch ist, sehr gütig, aber er ist kein Theologe und würde theologisch nie, nie (stark betont) anderer Meinung sein als Kardinal Ratzinger! Nie!

Was meinen Orden betrifft, war mein Generaloberer Peter-Hans Kolvenbach von allem Anfang an immer auf meiner Seite. Ich danke Gott, daß ich ihn hatte; ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte oder was aus mir geworden wäre.

Kard. König: Könnten wir nicht die Jesuiten mit ihren großen Ideen und ihren Aktivitäten in diesem Bereich erwähnen: Wie sie jetzt Ihre Ideen aufgenommen haben und daß diese große Bedeutung für sie haben? Als ich mit Pater General über Sie gesprochen habe, hat er mir gesagt, die Jesuiten würden versuchen, die Dinge in Ihrer Richtung voranzutreiben, anfangs sehr vorsichtig - aber sie wollten Ihre Probleme diskutieren. Haben Sie das Gefühl, daß sie - momentan - abwarten?

Dupuis: Sie sind vorsichtig und würden keine Risiken eingehen. So denken jedenfalls viele von ihnen. Das ist traurig, weil es für Theologen möglich sein muß, zu publizieren. Wir haben doch Redefreiheit, oder? Aber, um zurückzukommen zu Ihrer Frage, ob es Kardinäle im Vatikan gibt, die auf meiner Seite sind. Ich kann Ihnen sagen, was Pater General mir einmal gesagt hat: "Es gibt mehr Leute im Vatikan, die auf Ihrer Seite sind, als Sie denken, aber sie können das nicht offen sagen. Darunter sind sogar wichtige Leute."

Kard. König: Er hat vollkommen recht. Das ist so.

Dupuis: Sogar wichtige Leute im Vatikan können aber der Glaubenskongregation nicht widersprechen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich keinen Kontakt zu höheren Stellen habe - kein Kardinal hat mich angerufen, um mir zu sagen: "Ich bin einer Meinung mit Ihnen in dieser Sache." Ich weiß nur, was Pater General mir gesagt hat, daß es mehr Leute auf meiner Seite gibt, als mir bewußt ist. Aber, um auf Ihren Artikel zurückzukommen: Ich denke, Sie könnten den asiatischen Kontext - besonders den indischen Kontext - und die Wichtigkeit des interreligiösen Dialogs als konstitutives Element des Evangelisierungsauftrags der Kirche hervorheben. Was die Theologie des Dialogs betrifft, muß es natürlich eine offene Theologie des Dialogs sein, welche die göttlichen Werte in den Traditionen anderer Religionen anerkennt, und ebenso, daß unser christlicher und katholischer Glaube bereichert werden kann, wenn wir uns auf einen interreligiösen Dialog einlassen - was ja der ganze Sinn und Kontext meines Buchs ist.

Kard. König: Wir könnten gewisse Kapitel in Ihrem neuen Buch besonders hervorheben - ich denke da vor allem an Kapitel 9 über den Dialog und Kapitel 10 über das Gebet.

Dupuis: Und aufzeigen, welche wichtigen Dokumente diesbezüglich bereits er­schienen sind, wie zum Beispiel "Dialog und Mission", welches vom damaligen Sekretariat für die Nichtchristen 1984 herausgeben wurde und in dem in der Nummer 13 die Sendung der Kirche deutlich dargelegt wird, nämlich Zeugnis, das Engagement für Gerechtigkeit, Dialog und - erst zum Schluß - Verkündigung (proclamation). Dagegen konzentriert sich Dominus Iesus ausschließlich auf die Verkündigung (proclamation). Im indischen Kontext geht das einfach nicht. Vor einigen Jahren sagte Kardinal Tomko in der Eröffnungsansprache bei einer Vollversammlung der Föderation Asiatischer Bischofskonferenzen sinngemäß: "Ihr Bischöfe Asiens arbeitet nicht zufriedenstellend, weil es keine oder kaum Bekehrungen zum Christentum in Asien gibt." Das wurde von den asiatischen Bischöfen sehr schlecht aufgenommen, und sie reagierten dementsprechend stark - mit dem Ergebnis, daß Kardinal Tomko bereits am folgenden Morgen den Rückflug nach Rom antrat. Es ist diese Manie, daß Evangelisierung Verkündigung ist und taufen bedeutet. Aber das ist nicht im Einklang mit bestimmten offiziellen Dokumenten, die eine viel breitere Sicht des kirchlichen Missionsauftrags vermitteln.

Kard. König: Was Sie sagen, ist sehr wichtig. Welches Kapitel in Ihrem zweiten Buch ist Ihrer Meinung nach das beste - oder faßt das Thema am besten zusammen? Das erste und das letzte vielleicht?

Dupuis: Es fängt auf Seite 366 an. Da bespreche ich das Dokument "Dialog und Verkündigung (proclamation)", aber auch den wichtigen Beitrag, den Papst Johannes Paul II. gemacht hat durch seine konstante Bejahung der Anwesenheit des Geistes Gottes in anderen Religionen und natürlich in Assisi, wo er die theologische Grundlage für den interreligiösen Dialog legte.

Kard. König: Pater Karl Rahner nannte die Idee von Dialog und Religion "das übernatürliche Existential", erinnern Sie sich?

Dupuis: Ja, natürlich. Ich wurde ja stark von Rahner inspiriert - wobei ich natürlich über ihn hinausgehe.

Kard. König: Wenn ich sage, daß Religion zur menschlichen Existenz gehört - oder ein Teil davon ist -, würden Sie sagen, daß dies dasselbe ist, was Rahner mit "übernatürlichem Existential" meint?

Dupuis: Ich glaube schon. Rahners "Existential" bedeutet, daß der Mensch seit Beginn der Schöpfung auf Gott hingeordnet ist.

Kard. König: Das ist natürlich bereits der zweite Schritt in der Erklärung.

Dupuis: Das heißt - und diesen Gedanken entwickle ich dann auch -, daß die Heilsgeschichte nicht mit Abraham anfängt. Sie fängt mit der Schöpfung an. Und Gott hat die Menschen, die er geschaffen hat, die ganze Menschheitsgeschichte hindurch gesucht (sehr stark betont), und deswegen gibt es durch die Menschheitsgeschichte hindurch göttliche Offenbarung - den göttlichen Akt der Erlösung. Aber natürlich wird diese Idee nicht von allen akzeptiert.

Kard. König: Wenn ich diese ideale Sicht einnehme, erscheint dann das Christentum am Ende nicht in einem sehr positiven Licht?

Dupuis: Natürlich.

Kard. König: Das könnte ein gefährliches Thema sein, doch andererseits bereichert es den kulturellen Dialog.

Dupuis: Und es ist die christliche Botschaft, die uns dazu ermutigen sollte, diese positive und offene Einstellung zu entwickeln, anstatt den christlichen Glauben als eine Art geschlossenen Glauben zu präsentieren - in sich selbst als "die einzig wahre Religion" geschlossen usw.

Kard. König: All das ist eine sehr wichtige Frage für Europa. Was heißt Offenbarung? Was bedeutet Religion? Die europäische Art, Religion oder religiösen Glauben zu praktizieren, hat im Lauf der Jahrhunderte viele Veränderungen erfahren.

Dupuis: Ich habe in letzter Zeit viele Vorträge in vielen Ländern gehalten über das, worüber ich schreibe und an was ich glaube, und überall habe ich gesehen, wie glücklich die Menschen sind, wenn man ihnen den Glauben so präsentiert, daß er ihnen Sinn vermittelt, weil er offen präsentiert wird und sie atmen können - anstatt ihnen zu sagen, daß es außerhalb der Kirche keine Erlösung gibt.

Kard. König: Immer diese Idee, gegen andere kämpfen zu müssen?

Dupuis: Ja. Leider gibt es keinen Zweifel, daß die Kirche sich derzeit rückwärts bewegt. Dominus Iesus ist ein großer Schritt rückwärts. Die Glaubenskongregation sagt, daß die Offenbarung durch Jesus Christus abgeschlossen, endgültig, definitiv usw. ist - aber das ist unmöglich (mit erhöhter Stimme): Im Neuen Testament steht doch, daß Gott erst am Ende der Zeit vollständig offenbart werden soll. Wahr ist, daß die Offenbarung in Jesus Christus als göttliche Offenbarung in der Geschichte unübertroffen und unübertreffbar ist.

Kard. König: Ja.

Dupuis: Aber die vollständige, definitive Offenbarung von Gott - laut Neuem Testament - wird am Ende der Welt stattfinden. Wie können sie also behaupten, was sie behaupten?

Kard. König: Sie studieren Bücher und nicht die Realität.

Dupuis: Sie wollen "absolut", "definitiv" usw. behaupten, weil sie nicht akzeptieren wollen, daß es vielleicht eine Offenbarung außerhalb des Christentums gibt. Sie wollen, daß die Offenbarung exklusiv bleibt und nicht außerhalb der Kirche.

Kard. König: Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Natürlich müssen wir akzeptieren, daß die Offenbarung in Jesus Christus abgeschlossen ist, aber die Frage ist, ob wir sie insgesamt richtig verstanden haben. Wir müssen das ausführlich weiterdiskutieren und weiterhin versuchen, Unklarheiten aufzuklären. Auch wenn die Offenbarung abgeschlossen ist, so frage ich mich, ob es nicht vielleicht möglich ist, daß einzelne Personen besondere, persönliche, neue Einsichten bekommen: eine Mischung aus Offenbarung und Interpretation - eine Art Inspiration? Wir glauben an das Wirken des Heiligen Geistes - und ich neige zu der Annahme, daß der Heilige Vater meine Meinung hier teilt, das aber der Glaubenskongregation nicht sagt -, wir glauben an das Wirken des Heiligen Geistes in der ganzen Welt, und daß alle Weltreligionen Antworten auf die letzten Fragen suchen. Vielleicht werden menschliche Einsichten zusammen mit dem Heiligen Geist - sozusagen - einen neuen Zugang offenbaren. Kardinal Ratzinger und die meisten Theologen in Rom sind westlich geprägt. Sie wissen nicht genug über Asien oder über die asiatische oder indische Mentalität. Aber wollen denn die Hindus momentan überhaupt Dialog?

Dupuis: Eines ist derzeit klar: Die Hindus sind in der Defensive. Sie fürchten, daß Dialog vielleicht nur ein Umweg ist, um sie zum Christentum zu bekehren. Bei allen interreligiösen Treffen, an denen ich in letzter Zeit teilgenommen habe, spürt man am Anfang diese Angst, daß der Dialog vielleicht benützt wird als Umweg für Bekehrungen; sobald sie aber sehen, daß man einen offenen Dialog wünscht und offen für ihre eigenen Traditionen ist, ändert sich die Atmosphäre, und sie zeigen sich sehr interessiert. Ich habe unlängst an einem Treffen von christlichen, muslimischen und jüdischen Gelehrten in Sizilien, ungefähr 100 km von Palermo, teilgenommen. Sobald sie gehört haben, daß das Christentum bereit ist, offen anzuerkennen, daß es etwas in ihren Religionen gibt - zum Beispiel im Koran - oder wie Papst Johannes Paul II. es kürzlich so klar ausgedrückt hat, daß der Bund Gottes der Bund des Mose ist, verschwinden ihre Ängste. Wir müssen zuallererst betonen, wie wichtig es ist, den Dialog als Ausdruck der Sendung der Kirche in einem Kontext wie dem asiatischen zu definieren, und zweitens die offene Theologie der Religionen hervorheben. Das ist es, was ich zu tun versucht habe. Mit einer solchen Einstellung zum interreligiösen Dialog wird das Mysterium Jesu Christi auch keinesfalls geschmälert; aber es muß richtig verstanden werden, und es darf nicht ausgeschlossen werden, daß Gott und Jesus Christus und der Heilige Geist auch außerhalb der Kirche gegenwärtig und aktiv sind. Natürlich ist die Glaubenskongregation nicht bereit, das zu akzeptieren.

Kard. König: Gibt es Theologen aus der östlichen Welt in der Glaubenskongregation? Ich habe die Befürchtung, daß sie alle aus dem Westen sind.

Dupuis: Das ist wahr. Der Großteil kommt aus dem Westen. Daraus ergibt sich, daß diese Dinge dann von Leuten diskutiert werden, die alle gleich denken, und die unterschiedlichen theologischen Lehrmeinungen nicht vertreten sind. Deswegen ist es nicht überraschend, daß diese Angelegenheiten in der Glaubenskongregation so behandelt werden.

Kard. König: Gab es denn keine Kontakte, bevor Kardinal Tomko zu Gesprächen mit der Föderation Asiatischer Bischofskonferenzen nach Indien gefahren ist? Keine Kontakte mit indischen Bischöfen oder mit den Jesuiten im De-Nobili-Kolleg in Pune zum Beispiel?

Dupuis: Absolut keine. Die indischen Bischöfe werden abgelehnt - ebenso wie indische Theologen und wie Pater Dupuis! Ich glaube, man könnte behaupten, daß das auf viele asiatische Bischöfe zutrifft und sicherlich auf asiatische Theologen. Erinnern Sie sich an die Lineamenta, die vor der Asiensynode herausgegeben wurden? Da wurde mehr oder minder klar ausgesprochen, daß die asiatische Kirche sich mehr anstrengen muß, um zu evangelisieren. Und Sie erinnern sich, daß die japanischen Bischöfe die Lineamenta und die Versuche des Vatikans, hier Vorschriften zu machen, komplett abgelehnt haben.

Kard. König: Ich erinnere mich - und das hat mich damals sofort daran zurückdenken lassen, was kurz nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils geschehen ist: Eine Gruppe von uns Bischöfen hat genauso reagiert, als die Kurie versuchte, Vorschriften für das Konzil festzulegen. Was die japanischen Bischöfe gesagt haben, war für mich - 30 Jahre nach dem Konzil - ein besorgniserregendes Déjà-vu-Erlebnis. Das ist sehr traurig. Der nächste Papst muß sich mit dem Thema Kollegialität beschäftigen - man kann nicht einfach die Meinung der asiatischen Bischöfe vor einer Asiensynode ignorieren.

Ich habe das Gefühl, daß die Geschichte der Weltreligionen ein europäisches Produkt ist, eine europäische Art zu denken, zu forschen. In den letzten Jahrhunderten hat diese Art zu denken oft eine Spannung zwischen der christlichen Religion und den Naturwissenschaften gespiegelt, und wegen dieser Einstellung gegen die Naturwissenschaften seitens der christlichen Religion hat sich die Vorstellung geändert. Wir müssen zurück zur natürlichen Situation - daß der Mensch versucht, Antworten zu finden auf jene letzten großen Fragen.

Dupuis: Das wird so schön in der Nummer 1 der Konzilserklärung "Nostra Aetate" ausgedrückt. Da wird gezeigt, daß alle Religionen diese entscheidenden Fragen über den Menschen, den Sinn des Lebens usw. stellen.

Kard. König: Würden Sie sagen, daß die europäische Geschichte von dem, was wir Religionswissenschaft nennen, im europäischen Konzept zwischen Wissenschaft und Religion die natürliche Position auf irgendeine Weise verändert hat? Würden sie diese Sicht in Indien akzeptieren?

Dupuis: Ja, ich glaube schon. Und hier muß man hinzufügen, daß es über die Jahrhunderte eine zunehmende Tendenz zur Exklusivität gab: das Christentum als die einzig wahre Religion. In einem gewissen Sinn hat das mit Konstantin angefangen, sobald das Christentum nicht nur im (Römischen) Reich akzeptiert, sondern auch Staatsreligion wurde. Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit hat diesen Ausdruck, daß das Christentum die einzig wahre Religion ist, nicht verwendet. Wäre es nicht möglich, klar und unzweideutig auszusprechen, was einzigartig, neu und originell im Christentum ist - ohne exklusivistische Ausdrücke wie "die einzig wahre Religion" zu benützen? Dieser Ausdruck klingt, als ob wir das Monopol hätten, und das ist nicht wahr, nicht einmal mit der Offenbarung in Jesus Christus.

Kard. König: Das war in Europa immer der Fall. Wir könnten den Konzilstext, der feststellt, daß die Menschen immer Antworten suchen auf die letzten Fragen des Daseins, zu unserem Ausgangspunkt machen.

Dupuis: Es ist sehr wichtig, das sehr ernst zu nehmen, was Papst Johannes Paul II. über die universale Gegenwart des Heiligen Geistes gesagt hat. Daraus ergibt sich, daß es heilswirksame Werte in anderen Religionen geben muß.

Kard. König: Das ist ein wesentlicher Punkt, den wir einbringen müssen.

Dupuis: Pater O'Collins, mein lieber Freund und Mentor, fragte einmal in einem Leserbief in The Tablet, ob Pater Dupuis zu verurteilen nicht eigentlich einer Verurteilung Papst Johannes Pauls II. gleichkäme. Natürlich finde ich das eine sehr angebrachte Frage, da es in gewissem Maß sicherlich wahr ist. Wenn man Johannes Pauls II. sehr starke Betonung des Heiligen Geistes ernst nimmt, dann muß der Dialog offen sein. Wenn der Papst in seiner Enzyklika "Redemptoris Missio" (1990) sagt, daß die beiden Elemente - Dialog und Verkündigung (proclamation) - ihre Unterschiedenheit behalten und nicht manipuliert werden dürfen, dann heißt das doch, daß der Dialog nicht reduziert werden darf auf ein Mittel für die Verkündigung, wie Kardinal Tomko das anscheinend sieht.

Kard. König: Dialog muß offen sein. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Eine offene Einstellung und nicht eine verschlossene Mentalität wird hilfreich sein, der christlichen Botschaft neue Tiefen zu geben.

Dupuis: Ich hoffe, daß das, was ich gesagt habe, Ihnen helfen wird, den Artikel zu schreiben und ich werde Sie meine Reaktionen wissen lassen, wenn Sie mir die endgültige Version schicken.

Kard. König: Und ich werde Pater Hans Waldenfels in Bonn anrufen. Er ist ein sehr guter Mann. Ich kenne ihn gut.

Dupuis: Sein Artikel über meinen Fall in "Stimmen der Zeit" (217, 1999, 597-610) war sehr gut. Er ist ein Spezialist in diesem Bereich.

Kard. König: Er hat viele Jahre in Japan verbracht. Soweit ich mich erinnern kann, erwähnt er, daß vor 50 Jahren Theologen mutiger waren, als es viele von ihnen heutzutage sind, und er zitiert Gottlieb Söhngen, einen von Kardinal Ratzingers Lehrern: "Es geht nicht anders, als daß die Chinesen und andere Ostasiaten sich von ihrem fernöstlichen Denken her mit dem abendländischen Weg christlicher Theologie auseinandersetzen und darüber nicht ein Gemisch halb und halb, gleichsam ein Hühnerragout halb, zu Werke bringen, sondern das Ganze einer neuen Wesensgestalt christlicher Theologie, nämlich einen fernöstlichen Weg einer Theologie, deren Fernöstliches gerade darum für uns fühlbar würde, daß uns Abendländern zunächst und noch lange Hören und Sehen verginge, eben weil Auge und Ohr des abendländischen Geistes sich seit den griechischen Philosophen auf anderen Wegen gebildet hat."

Dupuis: Es zeigt, wie gut Waldenfels die Situation in Asien kennt. Das ist es, was so vielen Kurienkardinälen fehlt - sie haben keine Erfahrung vom Leben in der nichtchristlichen Welt. Haben sie überhaupt die großen Werke anderer Religionen studiert - mit Ausnahme des Alten Testaments, das ja nicht von einer anderen Religion, sondern von unseren älteren Brüdern ist? Ganz zu schweigen von einem Dialog mit Hindu-Religionsführern ... Das alles unterstreicht, wie ungerecht Dominus Iesus ist.

Kard. König: Ich glaube, Dominus Iesus wurde nicht sorgfältig genug vorbereitet. Kardinal Ratzinger hat das zugegeben, als er sagte, daß die Glaubenskongregation nicht auf die weltweiten Reaktionen vorbereitet war. Bevor man ein solches Dokument schreibt, muß man so viel berücksichtigen, besonders die Sprache und den Ton. Worte wie "deficient", die aus dem Lateinischen stammen, aber in modernem Englisch eine pejorative Bedeutung bekommen haben, zu benützen, um andere Religionen zu beschreiben ... Und natürlich hat es viel mit Psychologie zu tun. Man muß überlegen, wer das vatikanische Dokument lesen wird. Theologen sollten sich nicht an das breite Publikum wenden, und Dominus Iesus war ja für ein breites Publikum bestimmt: für Bischöfe, Theologen und Katholiken insgesamt.

Stimmen der Zeit (2008) 232-244

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