Klimawandel als ethische HerausforderungPerspektiven einer gerechten und nachhaltigen Globalisierung

Ein wesentliches Ziel aller Entwicklungspolitik ist schon seit langem die Armutsbekämpfung. Private Akteure wie die kirchlichen Hilfswerke sehen darin sogar das vorrangige Ziel aller Entwicklungszusammenarbeit. International versucht man gegenwärtig vor allem durch die sogenannten Millenniums-Entwicklungsziele, die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren - ein ethisch höchst bescheidenes, politisch jedoch leider ein höchst ambitiöses Ziel. Die Zielvorgabe „Halbierung der Armut“ impliziert nämlich, daß man auch 2015 eine Zahl von mindestens 500 Millionen Menschen in extremer Armut als unvermeidbar betrachtet - und dies trotz wachsenden Wohlstands in der Welt.

Gegenwärtig bestimmt freilich - zumindest auf den ersten Blick - ein ganz anderes Thema die öffentliche Aufmerksamkeit, nämlich der Klimawandel mit seinen bedrohlichen Folgen. Spätestens seit im Jahr 2007 der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change - IPCC)1 seinen Vierten Sachstandsbericht publizierte, ist ein anthropogener Klimawandel nicht mehr ernsthaft bestreitbar. Umstritten bleibt jedoch weiter die Frage, wie man ihn am besten bewältigen kann. Diese Frage war daher ein beherrschendes Thema großer politischer Konferenzen, angefangen vom Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm über den UN-Klimagipfel in New York bis hin zur 13. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention Anfang Dezember in Bali, die eine „Roadmap“, eine Straßenkarte für die Klimapolitik nach dem Kyoto-Protokoll beschloß.

Armutsbekämpfung und Umweltschutz sind jedoch eng miteinander verknüpft. Dies zeigt etwa das Leitthema der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro „Nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable development), das die Ziele der Entwicklungspolitik mit denen der Ökologie verbindet. Mit anderen Worten: Es geht um eine „inklusive Nachhaltigkeit“ angesichts der scharfen Linie, die Wohlstand von Armut und Teilhabe von Ausgrenzung trennt.

Die folgenden Ausführungen2 werden zunächst einige wenige grundlegende Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Armut skizzieren, an die sich eine Reihe von methodologischen und ethischen Überlegungen anschließt. Am Ende stehen Leitplanken für eine armuts- und zukunftsfähige Klimapolitik.

Verflochtenheit von Klimawandel und Armut

Die wesentlichen Daten zum Klimawandel dürften weithin bekannt sein. Sie sollen darum hier nur stichwortartig in Erinnerung gerufen werden, wobei der sogenannte Synthesebericht des IPCC3 als Grundlage dient. Das globale Klima hat sich in den vergangenen 100 Jahren um 0,74° C erwärmt, was nicht allein, aber zu einem wesentlichen Teil auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist. Hauptursache ist die Emission von Treibhausgasen, vor allem Kohlendioxid. Etwa 60 Prozent des Anstiegs der CO2-Emissionen gehen auf die Nutzung fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) zurück, also auf Energieverbrauch, knapp 20 Prozent auf die Nutzung von Landflächen, vor allem die Abholzung von Wäldern. Historisch gesehen sind die Industrieländer für fast 80 Prozent der CO2-Zunahme verantwortlich. Inzwischen haben aber auch einige Schwellenländer, an erster Stelle China, hohe absolute Emissionen aufzuweisen, auch wenn sie pro Kopf der Bevölkerung noch weit zurückliegen.

Je nachdem, ob und in welchem Umfang ein weiterer Anstieg der Emissionen gestoppt bzw. verringert werden kann, wird die Erdmitteltemperatur im 21. Jahrhundert um 1,1 bis 6,4° C steigen. Mittlere Szenarien der Klimaforschung gehen von 1,4 bis 4,4° C aus. Selbst wenn man alle CO2-Emissionen sofort stoppen könnte, stiege die Temperatur noch um fast 1° C, da das Klimasystem nur sehr träge reagiert. Die letzte vergleichbare Erwärmung (5° C) geschah vor 15000 Jahren am Ende der Eiszeit, allerdings in einem Zeitraum von 5000 Jahren4. Es besteht heute ein relativ breiter Konsens, daß ein Überschreiten der Leitplanke von 2° C über das vorindustrielle Niveau hinaus auf jeden Fall vermieden werden muß, wenn man nicht eine gefährliche, weil kaum zu bewältigende Erderwärmung riskieren will. Dies ist eine zwar anspruchsvolle, aber durchaus erreichbare Zielmarke.

Der Klimawandel ist also ganz wesentlich Folge eines energieintensiven Wirtschafts- und Zivilisationsmodells und des damit gewachsenen Wohlstands, den sich bisher freilich nur eine Minderheit der Menschheit leisten kann. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat dies mit Hilfe von Karten zur globalen Vermögens- und Emissionsverteilung verdeutlicht, die eine sehr hohe Korrelation zwischen der Höhe des Kapitalvermögens der einzelnen Länder einerseits und der Höhe ihrer CO2-Emissionen andererseits zeigen. Man kann dies auch als Kohlenstoff-Schuld der reichen Länder bezeichnen. Einzige Ausnahme ist das Gebiet des einst sowjetischen Machtbereichs, das ein im Vergleich zur Höhe der Emissionen deutlich niedrigeres Kapitalvermögen besitzt.

Die Globalisierung hat die Verbreitung dieses Wirtschafts- und Zivilisationsmodells in alle Welt erheblich beschleunigt. Immer mehr Länder folgen diesem Entwicklungspfad mit wachsendem Erfolg, was freilich mit hohem Energieverbrauch und schnell steigenden CO2-Emissionen verknüpft ist. Verlierer dieses Prozesses sind vor allem die ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung, die vom wachsenden Wohlstand bisher ausgeschlossen blieben, ja deren Lage sich sogar oft verschlechtert hat5.

Auf dem Hintergrund dieser Daten und Trends ergeben sich grundsätzlich drei Szenarien, was den weiteren Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid betrifft: 1. Die bisherige Entwicklung wird fortgesetzt, verbunden mit dem Versprechen, auch die Armen mit ins Boot zu nehmen, was verheerende Klimafolgen nach sich ziehen würde. 2. Man versucht die Nachzügler, die den Vorsprung der reichen Länder aufholen wollen, unter Verweis auf den Klimawandel vom Wohlstand nach westlichem Muster möglichst fernzuhalten. Dies dürfte bestenfalls höchst bedingt möglich sein und würde den Klimawandel nur geringfügig abbremsen. Vor allem aber ist diese Alternative ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen. 3. Man einigt sich auf die genannte Leitplanke von maximal 2° C Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Dies würde bis 2050 eine Halbierung der globalen Treibhausgase um 50 Prozent, bezogen auf das Basisjahr 1990, erfordern. Zur Erreichung dieser Zielmarke müßten die Industrieländer ihre CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent senken, um den ärmeren Ländern Spielraum für Wirtschaftswachstum und einen angemessenen Lebensstandard zu lassen6.

Die Folgen des Klimawandels7 sind bekannt: Gletscherschwund, Tauen des Permafrosts, Abschmelzen der arktischen Eismassen; Zunahme der Wetterextreme, Anstieg des Meeresspiegels, eine massive Abnahme der Artenvielfalt. Besonders beunruhigend sind mögliche negative Rückkoppelungseffekte, welche die Erderwärmung erheblich verstärken könnten. So würde etwa ein Abschmelzen des Grönland-Eisschildes den weltweiten Meeresspiegel um sieben Meter steigen lassen. Zur Schnelligkeit solcher, häufig nicht linearer Prozesse gibt es freilich noch keine genügend gesicherten Erkenntnisse, weshalb sie in den IPCC-Projektionen auch nicht berücksichtigt sind. Hinzu kommen gravierende soziale Folgen8: Wassermangel, Ausbreitung von Krankheiten, Zigmillionen von temporären und permanenten Klimaflüchtlingen. Politisch bedeutet dies ein „Sicherheitsrisiko Klimawandel“, wie der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) sein Jahresgutachten 2007 überschrieben hat.

Klimawandel und Vulnerabilität

Berichte in westlichen Medien kreisen meist um die möglichen Folgen des Klimawandels in den gemäßigten Klimazonen des Nordens, zum Beispiel den Gletscherschwund in den Alpen. Noch größere Sorgen scheint zu bereiten, daß Gegenmaßnahmen das wirtschaftliche Wachstum gefährden und zu Wohlstandseinbußen führen könnten. Dies ist allerdings eine sehr verkürzte Sicht, denn nicht nur die Ursachen, sondern auch die Folgen des Klimawandels sind weltweit höchst ungleich verteilt. Hauptopfer sind heute schon und werden auch weiter die ärmsten Länder, Regionen und Menschen sein. Man spricht in diesem Zusammenhang von Vulnerabilität, die zwei wichtige Aspekte umfaßt:

1. Es gibt geographische Gegebenheiten, die eine hohe Verwundbarkeit für die Folgen des Klimawandels mit sich bringen. Eine große Anzahl der weltweit Armen lebt in Gebieten, die am meisten von extremen Wettereignissen wie tropischen Wirbelstürmen, Hochwasser oder Dürrekatastrophen betroffen sind. Höhere Durchschnittstemperaturen in feucht-heißen Regionen und der wahrscheinliche Anstieg des Meeresspiegels treffen ebenfalls an erster Stelle die Armen, die zum Beispiel in Slumsiedlungen an der Küste oder an erdrutschgefährdeten Hängen leben.

Viele der negativen Auswirkungen des Klimawandels erschweren die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse und verstärken die Armut. So wird zwar global betrachtet bis 2050 ein höheres Angebot an Trinkwasser prognostiziert, dieser Zuwachs entfällt jedoch weitgehend auf bereits wasserreiche Regionen und einige tropische Feuchtgebiete. Die Niederschlagsmenge in Trockengebieten, die bereits jetzt unter Wasserknappheit leiden, könnte dagegen noch deutlich abnehmen. Zudem ist eine höhere Gefahr von Dürren wie von sintflutartigen Niederschlägen und Überflutungen zu erwarten. All dies hat landwirtschaftliche Ertragsverluste zur Folge und gefährdet die Ernährungssicherheit. Betroffen sind vor allem tropische und subtropische Regionen, wo schon jetzt die größte Gefahr für Hunger und Unterernährung herrscht.

2. Mindestens ebenso wichtig ist die soziale Vulnerabilität. Sie hängt von der jeweiligen Kapazität zur Bewältigung der Klimafolgen bzw. der Fähigkeit zur Anpassung an sie ab. Arme Länder und Arme verfügen schon aufgrund ihres materiellen Mangels über weit weniger solcher Kapazitäten als wohlhabende Länder und Menschen. So haben Arme zum Beispiel fast nie einen Versicherungsschutz. Armut ist aber oft auch mit sozialem Ausschluß, wenig Zugang zu sozialen Grunddiensten (Gesundheit, Bildung) sowie einem Mangel an Rechtssicherheit, politischen Rechten und kultureller Freiheit verbunden. In Krisenzeiten kann dies leicht zur Folge haben, daß sie aufgrund geringer Kaufkraft, fehlenden Wissens und politischer Ohnmacht ihre Interessen nicht zur Geltung bringen können. Sie sind darum kaum in der Lage, sich angemessen an extrem veränderte äußere Bedingungen anzupassen.

Besonders betroffen sind meist Frauen, Kinder und ethnische Minderheiten, die oft ökonomisch und rechtlich benachteiligt sind und sich nur schlecht wehren können. Umgekehrt sind es vor allem Frauen, die weithin die Hauptlast von Mangelsituationen tragen, etwa wenn sie über weite Entfernungen Wasser holen oder mühsam Holz sammeln müssen, weil das Kerosin zum Kochen nicht mehr bezahlbar ist.

Die Armen haben oft auch am meisten unter Preiserhöhungen am Weltmarkt zu leiden. So bedeutet etwa der drastische Anstieg der Erdölpreise in jüngster Zeit in reichen Ländern höhere Benzin- und Heizkosten, über die man sich ärgern mag, die aber nur für eine kleine Minderheit echte Wohlstandseinbußen mit sich bringen. Für arme Länder jedoch, die Erdöl importieren müssen, werden die Kosten immer unerschwinglicher, was besonders die breite Bevölkerung zu spüren bekommt. So hat etwa Indonesien vor zwei Jahren die Preise für Erdölprodukte wie Benzin um mehr als 100 Prozent erhöht, was natürlich auch die öffentlichen Transportkosten explodieren ließ. Dies hat besonders die Armen hart getroffen, da sie nur so zu ihren (städtischen) Arbeitsplätzen kommen bzw. ihre (landwirtschaftlichen) Produkte auf dem Markt verkaufen können. Diese Preise wären noch weit höher, wären sie nicht stark subventioniert. Sollte Erdöl noch knapper und somit teurer werden, haben die Armen und arme Länder schlechte Karten, denn auf einem freien Weltmarkt entscheidet allein die Kaufkraft über den Zugang zu dieser besonders günstigen Energieform. Eine ähnliche Entwicklung ist gegenwärtig auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel festzustellen, was das „Recht auf Nahrung“ für die Armen ernsthaft gefährdet, wenn nicht bald Gegenmaßnahmen ergriffen werden9.

Diskussion in den Medien

In den öffentlichen Medien bekommen die sogenannten Klimaskeptiker, die einen anthropogenen Klimawandel bestreiten, teilweise noch immer breiten Raum. Die Medien rechtfertigen dies mit dem Hinweis, man müsse objektiv sein und alle Seiten zu Wort kommen lassen. Dieses Argument ist grundsätzlich richtig, allerdings nur dann, wenn auch das wissenschaftliche Gewicht der jeweiligen kontroversen Positionen berücksichtigt wird.

Manche öffentlichkeitswirksame Publikationen erwecken allerdings den Eindruck, es gäbe nach wie vor eine weithin offene wissenschaftliche Debatte in der Frage des Klimawandels10. Tatsache ist jedoch, daß der IPCC-Bericht nahezu alle Studien der Klimaforschung berücksichtigt. Der Bericht ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses unter Mitarbeit von etwa 2500 Klimaexperten. Die Endfassung wurde nochmals politisch verhandelt und dabei zum Teil abgeschwächt, so daß er in der Tendenz sehr vorsichtig ist.

Manchmal wird dagegen eingewendet, daß die Meinung der Mehrheit nicht richtig sein muß. Das wird niemand bestreiten, und sachliche kritische Kommentare sollten immer erwünscht sein. Dies gilt freilich noch weit mehr für die Meinung der Minderheit, zumal es hier nicht einfach um Meinungen geht, sondern um wissenschaftliche Ergebnisse, die wissenschaftlich zu entkräften sind. Wenn freilich die Medien den Klimaskeptikern ebensobreiten Raum geben wie dem Konsens der meisten Forscher, dann führt dies dazu, daß viele Menschen die Problemlage nicht wirklich ernst nehmen und meinen, man könne mit entschlossenem politischen Handeln erst einmal abwarten.

Unterschiedliche Interessenlagen und Perspektiven

Probleme werden höchst unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem aus welcher Interessenlage und Perspektive man sie betrachtet. Es ist naheliegend, daß ein wirtschaftlich starkes Land und seine Bewohner den Klimawandel gelassener sehen als ein armes Land, das von den Folgen besonders betroffen ist und über sehr begrenzte Kapazitäten verfügt, sie zu bewältigen. Außerdem scheint die Anpassungsfähigkeit mit der Entfernung zu den reichen Ländern zuzunehmen. So halten manche Leute, die als „Experten“ auftreten, eine Umsiedlung von Millionen von Menschen (etwa in Bangladesch) durchaus für akzeptabel, einen Verzicht auf etwas Wohlstand in hiesigen Breitengraden aber für nicht hinnehmbar, ganz zu schweigen vom Widerstand, auf den größere Umsiedlungen stoßen würden. Was Überschwemmungen, Erdrutsche oder Hitzewellen wirklich bedeuten, wissen freilich die Opfer, also Menschen in den Armutsregionen am besten, selbst wenn ihnen die Zusammenhänge mit dem Klimawandel kaum bekannt sind.

Ein anderes Beispiel ist die Diskussion um das Bevölkerungswachstum. Mehr Menschen brauchen zweifellos mehr Energie und verursachen mehr Schadstoffe; sie brauchen auch mehr Land zum Leben und zum Anbau von Nahrungsmitteln. Insofern ist der Anstieg der Weltbevölkerung von heute 6,6 auf vermutlich etwa neun Milliarden Menschen im Jahr 2100 eine große Herausforderung. Dies ist jedoch nur die quantitative Seite des Problems. Die andere Seite ist das weltweite Wohlstandsgefälle mit seinen Folgen für den Klimawandel11. Gegenwärtig verursacht ein Deutscher im Durchschnitt etwa zehnmal so viel CO2-Emissionen wie ein Inder, ein Amerikaner sogar das 20fache. Insofern ist der Verweis auf das Bevölkerungswachstum zwar richtig, aber wenig glaubwürdig, wenn man nicht auch den Lebensstil ins Kalkül einbezieht.

Klimawandel - ein komplexes Problem

Der Klimawandel ist ein höchst komplexes Problem, das hohe Systemrisiken impliziert, schon allein aufgrund der bereits genannten Rückkoppelungseffekte. Dazu kommen die teilweise erheblichen regionalen Unterschiede in den Auswirkungen, selbst innerhalb von größeren Ländern. Daraus lassen sich drei Schlußfolgerungen ableiten: 1. Die Komplexität und der Systemcharakter der Probleme erfordern in hohem Maß interdisziplinäre Zusammenarbeit, da keine Disziplin allein alle Probleme erforschen kann. 2. Es müssen effiziente Mechanismen internationaler Kooperation geschaffen werden, da der Klimawandel eine Herausforderung ist, welche die Handlungsfähigkeit selbst der mächtigsten Staaten überfordern würde. 3. Unbeschadet des globalen Ausmaßes dieses Problems braucht es ebenso regionale Forschung und regionsspezifische Lösungen.

Die Komplexität des Problems zeigt sich auch in vielfältigen Verflechtungen mit anderen (globalen) Problemen, was am Fallbeispiel Indonesien skizziert werden soll12:

Indonesien zählt 230 Millionen Einwohner und ist damit der viertbevölkerungsreichste Staat der Erde. Es gehört nicht zu den ärmsten Ländern, ist aber noch kein Schwellenland. Seine Armutsprobleme kann es nicht ohne eine starke wirtschaftliche Entwicklung lösen. Der Klimawandel wird auch auf Indonesien massive Auswirkungen haben, angefangen von einem noch heißeren tropisch-feuchten Klima bis hin zum Anstieg des Meeresspiegels, der Millionen von Menschen betreffen und viel Ackerland kosten wird. Außerdem werden sich die Regenzeiten verändern, was längere Trockenzeiten und kürzere sowie heftigere Regenperioden zur Folge haben wird. Unter Einbeziehung von Abholzung und Emission von Methangasen ist Indonesien in absoluten Zahlen jedoch auch der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen, auch wenn die Pro-Kopf-Emissionen noch immer relativ niedrig sind.

Gegenwärtig gibt es große Engpässe in der Versorgung mit Energie, vor allem mit Elektrizität, was die wirtschaftliche Entwicklung erheblich behindert. Lange konnte Indonesien auf eigenes Erdöl setzen, doch die Fördermengen decken inzwischen nicht einmal mehr den Eigenbedarf. Eine Alternative sind Kohlekraftwerke, denn das Land hat reiche Kohlevorräte; diese abzubauen wäre freilich höchst klimaschädlich. Ebenso bedenklich ist der geplante Bau eines Atomkraftwerks in einer dicht besiedelten und höchst erdbebengefährdeten Region. Eine Alternative wäre, das große geothermische Potential zu nutzen, über welches das Land verfügt. Derartige klimafreundliche Lösungen verlangen freilich hohe Investitionen, die das Land kaum selbst aufbringen kann.

Neben Brasilien ist Indonesien der Hauptsünder bei der Abholzung vor allem tropischer Regenwälder, die große Mengen von Kohlendioxid binden. Ihr Erhalt würde den Verzicht auf hohe Exporteinnahmen bedeuten, die das Land auch für seinen Schuldendienst sehr benötigt. Deshalb wünscht die Regierung ein internationales Waldprotokoll mit Kompensationen durch die internationale Gemeinschaft. Dies ist umso wichtiger, da es Pläne gibt, in den kommenden Jahren die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen für Biomasse zu vervielfachen, was angesichts der Nachfrage aus Industrieländern sehr attraktiv ist.

Klimawandel - ein langfristiger Prozeß

Der Klimawandel ist ein langfristiger Prozeß, dessen negative Folgen sich erst allmählich zeigen werden, weshalb man sie gern verdrängt. Dasselbe gilt weithin auch für die daraus entstehenden Armutsprobleme. Auch in Zukunft wird es nämlich nach menschlichem Ermessen eine beträchtliche Zahl von Armen geben, selbst wenn es bis 2015 gelingen sollte, die globale Armut zu halbieren. Der Kampf gegen die Armut darf daher nicht zu Lasten künftiger Armer gehen, denn das hätte zur Folge, daß diese über noch weniger Kapazitäten und Mittel zur Anpassung verfügen würden als die Armen heute. Dies unterstreicht, daß Armutsbekämpfung und Klimapolitik keine Gegensätze sind, sondern miteinander verknüpft werden müssen.

Komplexität und Langfristigkeit des Klimawandels mit seinen oft irreversiblen Folgen stellen die Menschheit vor Herausforderungen, die sich nicht einfach mit bewährten Handlungsmustern bewältigen lassen. So ist etwa das Motto: „Aus Schaden wird man klug!“ wenig hilfreich, denn die Verursacher spüren oft den Schaden nicht und können darum auch nicht daraus lernen. „Wer heute einen Schaden erleidet, ist ja ganz selten der, der ihn auch verursacht hat.“13 Dasselbe gilt für das „Prinzip von Versuch und Irrtum“, das direkt in die Katastrophe führen würde: „Damit steht die Menschheit vor der Herausforderung, im Verlauf der Evolution eingeübte Verhaltensweisen aufzugeben und Probleme zu lösen, die zunächst nur intellektuell erkannt werden können. Die neue Devise heißt: Erkenntnis und Verhaltensänderung, handeln, bevor es wehtut!“14

Die Frage nach der Gerechtigkeit

Von grundlegender Bedeutung aus ethischer Sicht ist die Gerechtigkeitsfrage, die nicht ausschließlich, aber auch eine Verteilungsfrage ist. Die Komplexität der Klimaproblematik erfordert einen umfassenden Gerechtigkeitsbegriff, wobei drei zeitliche Dimensionen zu berücksichtigen sind.

In der Gegenwart geht es primär um das weltweite Wohlstandsgefälle, das mitursächlich dafür ist, daß viele Menschen nicht menschenwürdig leben können. Prüfstein muß nämlich immer die Lage der Ärmsten sein, weshalb die Bekämpfung krasser Armut höchste Priorität hat. Daraus ziehen manche den Schluß, Klimapolitik zur Begrenzung der Erderwärmung sei - zumindest vorläufig - von untergeordneter Priorität. Man solle die begrenzten Finanzmittel besser ganz für Armutsbekämpfung einsetzen15. Diese auf den ersten Blick durchaus sympathische Position ist freilich kurzsichtig, weil sie zu Unrecht suggeriert, Klimaschutz und Armutsbekämpfung seien einander ausschließende Alternativen.

Einen Ausweg aus dieser Spannung bietet das Prinzip grundsätzlich gleicher Rechte aller Menschen, das den politischen wie sozialen Menschenrechten zugrundeliegt. Dies betrifft auch den Zugang zu Wohlstand und zu den Mitteln, ihn zu erreichen. Wenn diese Mittel begrenzt sind, wie im Fall fossiler Brennstoffe und der damit verbundenen CO2-Ausstöße, ist eine gerechte Verteilung solcher Rechte besonders wichtig. Darum fordern viele Vertreter aus dem Süden: „Alle haben das Recht auf die gleiche Menge Emissionen.“16 Wie diese Grundforderung, die inzwischen auch viel Unterstützung im Norden findet, im Detail auszugestalten ist, etwa durch Emissionshandel, ist eine schwierige, gleichwohl unverzichtbare Aufgabe internationaler Politik und darf auf keinen Fall vom Gesetz des Rechts des Stärkeren bestimmt werden.

Die Verteilungsgerechtigkeit muß auch die Vergangenheit berücksichtigen. Der Wohlstand der reichen Länder wurde mit erheblichen Klimaschäden bezahlt, wie die Daten zur Kohlenstoffschuld gezeigt haben. Diese Tatsache ist seit mindestens 30 Jahren im wesentlichen bekannt, ohne freilich zu einer Trendwende zu führen. Es gibt nun aber kein ethisches Argument, das es ärmeren Ländern verwehren könnte, eine „nachholende Entwicklung“ mit dem Ziel eines vergleichbaren Wohlstands anzustreben, was freilich längerfristig eine Klimakatastrophe auslösen würde. Insofern haben die reichen Länder die moralische Verpflichtung, ihre Schuld ein Stück weit abzutragen, was dem Verursacherprinzip entspricht. Dazu müssen sie an erster Stelle selbst klimaverträgliche Entwicklungspfade einschlagen. Zweitens müssen sie ärmeren Ländern helfen, ihnen auf diesem Weg zu folgen, vor allem durch technische und finanzielle Hilfe. Die Bedarfsgerechtigkeit der Armen hat auf jeden Fall Vorrang vor der Besitzstandswahrung der Reichen.

Man darf die Probleme allerdings auch nicht in die Zukunft verschieben. Die heute lebenden Generationen haben kein Recht, die voraussehbaren Folgen ihres Handelns zu ignorieren und so die Lebenschancen künftiger Generationen zu gefährden. Dies würde vermutlich vor allem künftige Arme in eine ausweglose Situation geraten lassen, da die Versprechen der reichen Länder, sie würden gegebenenfalls wirksam helfen, erfahrungsgemäß eine niedrige Halbwertszeit haben. Mit anderen Worten: Intragenerationelle und intergenerationelle Gerechtigkeit sind miteinander zu verbinden.

Der Umgang mit globalen Risiken fordert gemeinsames Handeln

Eine ethische Schlüsselfrage ist die Abschätzung von Risiken und vor allem der Umgang mit ihnen. Der IPCC stuft seine Aussagen und Projektionen sehr genau nach ihrem Wahrscheinlichkeitsgrad ein, angefangen von „praktisch sicher“ (99 Prozent) bis „extrem unwahrscheinlich“ (unter fünf Prozent). Da diese Qualifikationen sehr vorsichtig sind, erfährt die Öffentlichkeit meist nur jene Informationen, die sehr wahrscheinlich sind, während ein wichtiger Teil der Forschung, auch wenn er gut fundiert ist, kaum zur Kenntnis genommen wird. Das Risikoverhalten in anderen Lebensbereichen, etwa im Brandschutz oder Verkehr, ist weit vorsichtiger. So würde wohl kaum jemand „in ein Flugzeug steigen, das mit weniger als 33prozentiger, aber mit mehr als zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt“ 17. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zeigen, daß manche Folgen zwar bereits unumkehrbar sind, es aber auch noch viel Handlungsspielraum gibt, weit darüber hinausgehende Schäden zu vermeiden.

Wie aber kann man mit einem so gewaltigen Risiko wie dem Klimawandel vernünftig und ethisch verantwortungsvoll umgehen? Eine gewisse Risikobereitschaft ist unvermeidlich und zweifellos notwendig, wenn man Stagnation vermeiden und Fortschritte erzielen will. Es gibt aber auch Situationen, die ein „risikoaverses Verhalten“ verlangen, zum Beispiel „Situationen, wo begründet Sorge besteht, daß ein großer und irreversibler Schaden eintritt“18. Insofern bietet das Vorsorgeprinzip und das Gebot der Risikobegrenzung im Fall von möglichen Klimaschäden, die man realistischerweise weithin ausgleichen oder beheben kann, einen viel größeren Handlungsspielraum als im Fall von irreversiblen Schäden. Auf jeden Fall verantwortungslos wäre ein „Weiter so!“ im Vertrauen darauf, daß alle Projektionen mit Unsicherheiten behaftet sind und daß es letztlich doch nicht so schlimm kommen wird. Man sollte daher die gegebenen Möglichkeiten zum Umsteuern nutzen, auch wenn dies kurzfristig gewisse Einbußen mit sich bringen mag; denn bis zum Jahr 2020 sind langfristige Weichenstellungen vorzunehmen, vor allem in der Energiepolitik. Eine vergleichbare Chance wird sich dann lange Zeit nicht mehr auftun. Leitplanken wie das 2° C-Ziel sind eine wichtige Hilfe, um das Klimarisiko zu begrenzen.

Der Systemcharakter des Klimaproblems ist einerseits ein hohes Hindernis und erlaubt keine einfachen Lösungen. Andererseits bietet er aber eine große Chance, da er sozusagen systemisch zum gemeinsamen Handeln der Völkergemeinschaft und aller Menschen auffordert - ja geradezu zwingt, wenn man rational denkt. Bezogen auf diese systemische Form von Solidarität ist der Verweis auf eine Ethik „wohlverstandener Eigeninteressen“ berechtigt. Ethisch begründete Solidarität geht aber darüber hinaus und erstreckt sich auch auf jene Menschen in Not, deren Unterstützung weder im Eigeninteresse liegt, noch aus Gründen der Gerechtigkeit strikt geboten ist. Solidarität in diesem Sinn (bzw. Altruismus) kann daher ein gewisses Gegengewicht gegen die Tendenz zum Ausschluß der Ärmsten im Prozeß der Globalisierung schaffen.

Beide Formen von Solidarität sind eng verknüpft mit der Zielvorstellung eines Weltgemeinwohls. Konkret diskutiert wird es gegenwärtig vor allem im Zusammenhang mit den sogenannten globalen öffentlichen Gütern (Global Public Goods). Dabei handelt es sich um Güter, die allen zugute kommen, die aber ein freier, primär gewinnorientierter Markt nie ausreichend bereitstellt. Der Erhalt eines zuträglichen Weltklimas wie auch die Bekämpfung extremer Armut und Einkommensunterschiede sind solche zentralen Güter19.

Individuelles Handeln und Ordnungspolitik

Ein im Zusammenhang mit dem Klimawandel oft umstrittenes Thema ist die Frage, welche Rolle der Ordnungspolitik zukommt und inwieweit auch das Verhalten jedes einzelnen sowie sozialer Gruppen und Bewegungen wichtig sind. Allgemeiner gesprochen geht es dabei um die Zuordnung von Institutionen- und Individualethik. Das globale Gut „Klimaschutz“ erfordert vorrangig internationale Kooperation und eine Weltordnungspolitik (Global Governance) mit völkerrechtlichen Verträgen und Regeln sowie handlungsfähigen Institutionen; denn nur die Völkergemeinschaft gemeinsam kann die notwendige Umsteuerung leisten. Ebenso kann allein die Politik die erforderlichen wirtschaftlichen Anreize und finanziellen Mittel bereitstellen. Beim Aushandeln einer solchen Ordnung ist die Verfahrensgerechtigkeit von zentraler Bedeutung, d.h. die mächtigen Staaten dürfen die Regeln nicht allein bestimmen, sondern müssen auch kleinere und arme Staaten angemessen an diesem Prozeß beteiligen. Ein ähnlicher Vorrang der Institutionen gilt für die Armutsbekämpfung, denn freiwillige Aktionen und Spenden werden nie eine gerechte Steuer- und Sozialpolitik ersetzen können.

Dieser Vorrang darf jedoch nicht dahingehend fehlinterpretiert werden, daß die Individualethik bedeutungslos und die einzelnen Akteure von jeglicher Verantwortung befreit seien. Individuelles Verhalten ist vielmehr in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen erfordert die Einhaltung von Regeln immer auch einen gewissen Wertekonsens darüber, daß sie einzuhalten sind. Zum zweiten braucht es stets auch neue Ideen und Anstöße, Innovationen und Pilotprojekte, da jede Rahmenordnung Lücken und Grenzen hat, die durch eigenverantwortliches Handeln aufgedeckt und gefüllt werden müssen. Drittens kann individuelles Handeln eine wichtige Vorbildfunktion haben und so motivieren. Und schließlich sind es Menschen, die Ordnungen schaffen und Recht setzen.

Am deutlichsten sichtbar wird diese Zuordnung im Spannungsfeld von Wirtschaftssystem, Lebensstil und Konsumethik. Der Klimawandel stellt eine rein auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Wirtschaftsweise und eine einseitig ökonomisch ausgerichtete Globalisierung grundlegend in Frage20. Eine weltweite Übernahme des westlichen Zivilisationsmodells würde nämlich - jedenfalls in seiner jetzigen Form und nach unserem gegenwärtigen Wissensstand - eine globale Klimakatastrophe zur Folge haben. Die heutige Form der Globalisierung mit der ihr eigenen Dynamik ist folglich entweder nur für eine Minderheit der Menschheit möglich, oder aber sie ist im Fall ihres Erfolges selbstzerstörerisch. Es braucht darum tiefgreifende institutionelle Reformen in vielen Bereichen.

Derartige Reformen sind aber gerade in Demokratien nur durchsetzbar, wenn relativ breite Bevölkerungsgruppen sie unterstützen. Dies betrifft besonders das persönliche Konsumverhalten, das stets auch ein Spiegelbild des Wirtschaftssystems und von Konsummustern ist und diese verstärkt. Von hierher kommt einer Konsumethik großes Gewicht zu, die freilich unterschiedliche Konsequenzen für Arme und Reiche hat21. Umstritten ist, gerade bei hohem Wohlstand, vor allem die Suffizienz, d.h. eine gewisse Selbstbescheidung und Genügsamkeit. Vielleicht ist es besser, von der „Tugend des rechten Maßes“ zu sprechen, die weithin verloren gegangen zu sein scheint. Sie bedeutet keineswegs einfach Verzicht, sondern bietet vielmehr die Chance von mehr Lebensqualität.

Koordinaten für eine armutsorientierte Klimapolitik

John Holdren, Präsident der „American Association for the Advancement of Science“ (AAAS), hat einmal von drei Optionen im Hinblick auf den Klimawandel gesprochen: „Mitigation, adaptation and suffering“ (Reduzierung, Anpassung, Leiden), und dann festgestellt: „Es wird auf alle drei hinauslaufen. Die Frage ist nur die der Mischung. Je besser wir den Wandel abmildern, desto weniger Anpassung ist nötig und desto weniger Not entsteht.“22 Da menschliche Not keine politische Option sein kann, bleiben „Mitigation“, die Reduzierung der Treibhausgase, und „Adaptation“, die Anpassung an die negativen Folgen des Klimawandels.

Hauptstreitpunkt in den gegenwärtigen politischen Kontroversen ist die Gewichtung dieser beiden Optionen, die keine echten Alternativen sind. Ein hohes Maß an Anpassung wird auf jeden Fall nötig sein, um den schon jetzt kaum mehr vermeidbaren Temperaturanstieg um 2° C zu bewältigen. Eine Minderheit von Fachleuten vertritt die Meinung, man könne sich auch an noch höhere Temperaturanstiege anpassen. Die große Mehrheit hält dies jedoch für äußerst riskant, vor allem wegen verheerender Folgen für die Armen. Diesen Standpunkt haben sich auch die Europäische Union und die Bundesregierung zu eigen gemacht. Fazit: Nicht bewältigbare Folgen des Klimawandels müssen vermieden werden, und nicht vermeidbare Folgen müssen durch Anpassung bewältigt werden.

Es besteht breiter Konsens, daß dies nicht von heute auf morgen möglich ist und es einen langwierigen Übergangsprozeß braucht, der allerdings sofort eingeleitet werden und bis 2020 auf den Weg gebracht sein muß. Wichtigstes Argument gegen Leitplanken wie das 2° C-Ziel waren bisher die ökonomischen Kosten. Neuere Studien, wie etwa der Stern-Report, kommen dagegen zum Ergebnis, daß ein ungebremster Klimawandel Einbußen von „wenigstens 5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts jedes Jahr, jetzt und für immer“ zur Folge haben werden, während Maßnahmen, um die 2° C-Leitplanke nicht zu überschreiten, zwar auch teuer wären, sich aber nur auf ein Prozent belaufen würden23. Diese Resultate haben viele Bedenken entkräftet und der politischen Debatte eine neue Dynamik verliehen.

Das Handlungsvermögen der Armen stärken

Eine zukunftsorientierte Bekämpfung der Armut, die zugleich dazu beiträgt, daß die Folgen des Klimawandels besser zu bewältigen sein werden, muß an erster Stelle das Handlungsvermögen der Armen stärken, d.h. der ärmeren Länder und Regionen, vor allem aber der Menschen vor Ort. Dies ist der wirksamste Ansatz im Kampf gegen die Armut, zugleich aber das beste Mittel, um die Verwundbarkeit durch den Klimawandel zu reduzieren und die Fähigkeit zu erhöhen, seine unvermeidbaren Folgen menschenwürdig zu bewältigen. Außerdem trägt weniger Armut entscheidend zu einem niedrigeren Bevölkerungswachstum bei. Wesentliche Grundlage für eine Stärkung des Handlungsvermögens ist ein verbesserter Zugang zu Einrichtungen, die den spezifischen Bedürfnissen der Armen Rechnung tragen, angefangen von medizinischer Versorgung und Bildungseinrichtungen bis hin zu politischen Teilnahme- und Teilhabemöglichkeiten und der Beteiligung an Produktions- und Marktprozessen.

Die Armen können ihr Handlungsvermögen freilich nur sehr bedingt aus eigener Kraft stärken. Sie sind vielmehr auf unterstützende Institutionen und Hilfe angewiesen. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip geht es dabei vor allem um politische, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die das Potential und die Eigeninitiative „von unten“ fördern und stärken, angefangen von den Menschen vor Ort und den Kommunen über die jeweiligen Staaten bis hin zur globalen Ebene. So sehr es nämlich auf die Menschen selbst ankommt, ohne ein unterstützendes Umfeld werden sie sich vergebens bemühen.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei einer fairen Weltwirtschaftsordnung zu, welche die Eigenkräfte und das Einkommen der Armen nicht unter dem Vorwand einer unausweichlichen Globalisierung schwächt. So besteht gegenwärtig die Gefahr, daß es zu einer Flächenkonkurrenz zwischen der Produktion von lebensnotwendigen Nahrungsmitteln einerseits und Biomasse-Trägern (wie Zuckerrohr, Ölpalmen) für vermeintlich umweltfreundliche Energie andererseits kommt24. Wenn dies zur Folge hat, daß die Armen weniger Zugang zu Nahrung haben, sei es weil sie weniger Land für die Eigenproduktion haben, sei es weil sie importierte Nahrungsmittel nicht bezahlen können, dann ist dies ethisch nicht hinnehmbar. Außerdem führt dies häufig zu einer beschleunigten Abholzung tropischer Wälder, um Land für den Anbau devisenträchtiger Agrarprodukte zu gewinnen, was wiederum die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre verstärken würde. Neue Studien warnen außerdem vor noch mehr Wasserknappheit, sollte die Produktion von Biomasse weiter steigen.

Erfolgreiche Klimapolitik - kluge Energiepolitik

Kern- und Angelpunkt einer erfolgreichen Klimapolitik ist eine kluge Energiepolitik, welche zu einer starken Reduktion von CO2-Ausstößen führen muß. Wie dringlich dies ist, zeigt der „World Energy Outlook 2007“ der Internationalen Energieagentur (IEA), der beim heutigen Trend einen Anstieg des globalen Energieverbrauchs um 50 Prozent und der dadurch bedingten CO2-Emissionen um 57 Prozent bis 2030 erwartet25. Dies darf freilich nicht zu Lasten der Armen erfolgen, worauf die Kritiker einer solchen Politik zu Recht hinweisen. Energiemangel und ungesicherter Energiezugang, wovon noch immer 1,6 Milliarden Menschen betroffen sind, stellen nämlich ein gewaltiges Hindernis für die Überwindung von Armut dar. Ein Verzicht auf einen höheren Energieverbrauch in den Entwicklungsländern oder gar der Armen ist daher nicht akzeptabel.

Eine ethisch vertretbare Klimastrategie muß die bisher sehr enge Verknüpfung von Energieverbrauch und CO2-Emissionen auflösen. Nur so können Klimapolitik und Armutsbekämpfung einander ergänzen. Neue Berechnungen des „Energy Science Center“ in Zürich zeigen, daß dies durchaus realistisch ist. Sie plädieren für eine weltweite Zielmarke von einer Tonne CO2-Ausstoß pro Kopf und pro Jahr bis zum Jahr 2100 (gegenüber gegenwärtig etwa 4,5 Tonnen im Durchschnitt) und sie meinen, dies sei möglich und zwar bei einem globalen Wohlstandsniveau, das dem der heutigen Schweiz entspricht26.

Für eine entsprechende alternative Energiepolitik gibt es heute viele Möglichkeiten, angefangen von weit höherer Energieeffizienz und technologischer Innovation bis hin zu erneuerbaren Energien. Umstritten bleibt die Kernenergie, weil sie einerseits keine Treibhausgase verursacht, andererseits damit aber ein Entwicklungspfad eingeschlagen wird, der viele Risiken in sich birgt und auf lange Zeit unumkehrbar bleibt. Außerdem kann selbst eine hohe Anzahl von Kernkraftwerken nur einen relativ kleinen Teil des künftigen Energiebedarfs decken. Nach Meinung vieler Experten ist auch der weltweite marktkonforme Handel mit Emissionsrechten ein sehr effizientes Instrument. Er könnte den Industrieländern den schwierigen Übergangsprozeß erleichtern, da sie sich gegen Geld zusätzliche Rechte erwerben könnten und arme Länder so finanzielle Mittel für die Armutsbekämpfung erhalten würden27. Allein Afrika würde auf diese Weise eine Summe erhalten, welche die bisherige weltweite Entwicklungshilfe um ein Mehrfaches übersteigen würde.

Zusammenarbeit und Solidarität über nationale und ähnliche Grenzen hinweg läßt sich ebensowenig wie Achtung der Umwelt allein mit Appellen an den Verstand erreichen. Menschen leben in kulturellen und meist auch religiösen Traditionen mit ihren jeweiligen Weltsichten und Werten. Will man sie wirklich für ein Umdenken und Verhalten gewinnen, das in gleicher Weise sozial- und umweltverträglich ist, dann muß man an diese Traditionen anknüpfen und die Menschen dort abholen. Dies bedarf zweifellos auch einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Erbe. Gerade Religionen beinhalten aber auch hilfreiche Vorstellungen über das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen und zur Umwelt und die darin begründete Verantwortung. Entsprechende Leitbilder wie Solidarität oder „rechtes Maß“ können für Religionsmitglieder eine hohe Motivationskraft für ein sozial- und klimagerechtes Verhalten sein. Umgekehrt kann der Systemcharakter des Klimaproblems dazu beitragen, daß die Menschen bewußter wahrnehmen, wie eng sie mit ihrer natürlichen Umwelt verflochten und auf sie angewiesen sind. Auf diesem Hintergrund ist es wichtig, allgemeine ethische Argumente und die vielfältigen kulturellen und religiösen Traditionen wechselseitig anschlußfähig zu halten.

Eine nachhaltige Verknüpfung von Klima- und Armutspolitik wird folglich nur gelingen, wenn man die sozio-kulturellen Lebenswelten der Menschen ernst nimmt. Dies setzt gerade in Entwicklungsländern voraus, daß man sie nicht als Objekte der Politik betrachtet, sondern mit ihnen spricht und sie aktiv an der Entwicklung politischer Strategien beteiligt. Vor allem müssen sie konkret erfahren können, daß es nicht nur um eine abstrakte Klimapolitik geht, sondern sich ihre eigene, oft mehr als prekäre Lage gleichzeitig verbessert. Dies ist ebenso eine politische Notwendigkeit wie ein ethisches Gebot.

Stimmen der Zeit (2008) 391-405

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