Scheinargumente in der Zölibatsdiskussion

Die Diskussion um das Für und Wider des Amtszölibats in der katholischen Kirche ist nun schon seit Jahrzehnten im Gang, mit wechselnder Intensität, aber ohne Unterbrechung. Obwohl das geltende Recht immer von neuem bekräftigt wird vom Zweiten Vatikanischen Konzil, von Bischofssynoden, Päpsten und Bischöfen -, ist kein Ende der Auseinandersetzung abzusehen. Die Gründe sind vielfältig, ähnlich vielfältig wie die Gründe, die zur Einführung des Amtszölibats führten. Wer einfach von Glaubensschwäche spricht oder der Verführbarkeit durch den "Konsumismus" und den "Sexualismus" unserer Zeit, verbaut sich durch solche vorschnellen, ja diffamierenden Schuldzuschreibungen den Zugang zu einer sachlichen Analyse.

Bleibt man bei den objektivierbaren Phänomenen, muß man als einen wesentlichen Grund die Tatsache nennen, daß der Zölibat seine gesellschaftliche Stütze verloren hat. Auch in der Kirche findet er nicht mehr das Umfeld, auf das er angewiesen ist. Noch Ende der fünfziger Jahre hätten wohl die allermeisten Katholiken Mitteleuropas keine verheirateten Priester gewollt und wären vehement für deren Ehelosigkeit eingetreten. Heute findet der Amtszölibat bei der Mehrheit der Katholiken keine bedingungslose Zustimmung mehr, wie alle Umfragen beweisen. Eine wichtige Rolle spielt ferner der Priestermangel, auf Grund dessen viele Gemeinden keinen Pfarrer mehr haben und damit auf die sonntägliche Eucharistiefeier am Ort verzichten müssen. Die verschiedenen Pastoralpläne, die die Situation meistern sollen, bieten keine so überzeugenden Regelungen, daß die Frage nach der Möglichkeit verheirateter Priester gegenstandslos würde.

Der Zölibatsdiskussion liegen wirkliche Probleme zugrunde. Sie wurde nicht mutwillig vom Zaun gebrochen und muß daher von allen Beteiligten ernsthaft und sachlich geführt werden. Daran aber mangelt es häufig, vor allem weil die Begriffe nicht eindeutig verwendet und die Tatsachen nicht genügend zur Kenntnis genommen werden.

Das Wort Zölibat wird in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Es bezeichnet sowohl das Charisma der Ehelosigkeit als frei gewählten Verzicht auf Ehe und Familie um des Himmelreichs willen wie auch das Gesetz, das die Priester der lateinischen Kirche zur Ehelosigkeit verpflichtet. Die freiwillige Ehelosigkeit ist bereits im Neuen Testament grundgelegt (z. B. Mt 19,11-12). Sie ist ein hoher, unersetzlicher Wert. Ohne Menschen, die sich zu dieser Lebensform entscheiden, würde der Kirche Wesentliches fehlen. Das aus dem 12. Jahrhundert stammende Zölibatsgesetz hingegen ist geschichtlich gewachsenes kirchliches, also veränderbares Recht. Wie das Konzil sagt, ist es nicht vom Wesen des Priestertums gefordert, wenn auch "in vielfacher Hinsicht angemessen". Es gilt zudem nur für den westlichen, lateinischen Teil der Kirche, nicht für die Patriarchate der mit Rom unierten Ostkirchen. Selbst in der westlichen Kirche gibt es inzwischen eine Reihe verheirateter Priester, meist zur katholischen Kirche konvertierte Pfarrer nichtkatholischer Kirchen. Der Amtszölibat ist also kein Gesetz der Weltkirche, das keine regional unterschiedlichen Regelungen zuließe, wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird.

Die gesamte Diskussion leidet darunter, daß die beiden Bedeutungsebenen des Wortes zuwenig auseinandergehalten werden und daß man oft so argumentiert, als gäbe es die ostkirchlichen Patriarchate nicht oder als gehörten sie nicht zur katholischen Kirche. Ein Großteil der Gründe, die heute für den Zölibat der Diözesanpriester der westlichen Kirche ins Feld geführt werden, gelten nicht für die kirchenrechtliche Verpflichtung zum Zölibat, sondern für die frei gewählte Ehelosigkeit. Diese ist in der Tat ein Charisma, das die Kirche von ihrem Herrn empfangen hat, eine kostbare Gabe, an der sie festhalten muß. Wer ihre Sinnhaftigkeit - und damit auch die Sinnhaftigkeit der Orden - grundsätzlich ablehnt, widerspräche dem Evangelium selbst. In einem solchen Fall wäre der Vorwurf des Glaubensschwunds vielleicht gerechtfertigt, nicht aber, wenn jemand das Zölibatsgesetz in Frage stellt und für eine Änderung plädiert. Auch der Wunsch des Paulus, alle Menschen möchten unverheiratet leben wie er, gilt nur für die freie Entscheidung zur Ehelosigkeit; Paulus verwahrt sich ausdrücklich dagegen, daraus ein Gesetz für andere zu machen (1 Kor 7,7).

Die zitierten Argumente enthalten also keine zwingenden Gründe für den Amtszölibat. Es kommt hinzu, daß sie die verheirateten Priester der Ostkirchen diskriminieren. Schon Kardinal Augustin Bea hat in einer Konzilsrede vom 10. Oktober 1965 davor gewarnt, die Angemessenheit der Ehelosigkeit für den Priester so zu überhöhen und mit solcher Unbedingtheit auszusprechen, daß der Anschein erweckt wird, als ergäbe sich der Zölibat schon aus dem Wesen des Priesteramts - eine Warnung, die angesichts vieler gerade kirchenamtlicher Äußerungen zum Zölibat heute noch so aktuell ist wie damals. Als Beispiel zitierte Bea die Aussage, die Priester würden durch den Zölibat zum lebendigen Zeichen für die zukünftige Welt; dann müsse man nämlich fragen, ob die orientalischen Priester "nicht Priester im Vollsinn des Wortes" seien. In Wirklichkeit handle es sich jedoch um zwei gleichrangige Lebensformen, die beide höchste Anforderungen stellen und auch ihre je spezifischen Gefahren haben: die "vollkommene Enthaltsamkeit im Zölibat" und der "vollkommene (anders gesagt 'ideale') Ehestand des verheirateten Priesters".

Das heißt nicht, daß es für den Amtszölibat keine gewichtigen Gründe gäbe. Es ist der Sache aber nicht gedient, wenn er mit Argumenten verteidigt wird, die sich bei näherem Hinsehen als Scheinargumente erweisen.

Stimmen der Zeit (1993) 649-650

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