Integrität wider dunkle GeschäfteTransparency International und der Kampf gegen Korruption

Im vergangenen Jahr feierte Transparency International ihr 20-jähriges Bestehen. Paloma Fernandez de la Hoz, Sozialhistorikerin und Pädagogin an der Katholischen Sozialakademie Österreich in Wien, gibt einen Einblick in Ziele und Methoden der international agierenden Organisation.

Im Jahr 2013 feierte die Dachorganisation Transparency International (TI) ihr 20-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass gratulierte am 8. November 2013 auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, der Nichtregierungsorganisation (NGO). Er lobte ihr Engagement gegen das "Verbrechen der Korruption" sowie ihre Arbeitsweise der Vernetzung mit Fachleuten, Regierungen und anderen Organisationen. Im November 2011 hatte TI den angesehenen Sozialwissenschaftspreis A.SK Social Science Award des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung erhalten. Mit diesem Preis werden Beiträge zu gesellschaftlichen und politischen Reformen ausgezeichnet. 2011 ging er mit TI erstmals an eine Institution.

Inzwischen ist TI weltweit bekannt geworden. Die Organisation gilt als seriös und zuverlässig: eine unentbehrliche Referenz bei der Bekämpfung von Korruption. Berichte und Stellungnahmen von TI werden in der Fachliteratur sowie von offiziellen Einrichtungen immer wieder zitiert. Die Organisation macht intensiven Gebrauch von den neuen Massenmedien, um über ihre laufenden Tätigkeiten zu informieren. Einige Klicks im Internet genügen, um die Arbeit ihrer Sektionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu verfolgen. Was ist ihr Beitrag zur Bekämpfung von Korruption? Wo liegen die Grenzen ihrer Aktivitäten?

Korruption - ein dunkles Phänomen

Aus der indoeuropäischen Wurzel "reup" (entreißen, brechen) entwickelte sich das lateinische Verb "corrumpere": Mit-brechen, mit-verderben sind konstitutive Bilder der ursprünglichen Vokabel, was zum einen die negativen Auswirkungen des korrumpierten Handelns, zum anderen die erforderliche Komplizenschaft zum Ausdruck bringt.

Was korrupt ist, hängt zum Teil von der jeweiligen Kultur ab. Daher gibt es nach wie vor keine allgemein akzeptierte juridische Definition von Korruption. In der Fachliteratur werden allerdings zwei wesentliche Merkmale des Phänomens immer wieder betont, nämlich Machtmissbrauch (Mittel) und Durchsetzung eigener materieller Privatinteressen (Zweck). Korrupt ist aus sozialethischer Perspektive, wer eine Machtposition missbraucht, indem er/sie die Verantwortung, die dabei wahrzunehmen wäre, zugunsten eigener materieller Vorteile außer Acht lässt.

Es ist klar, dass Korruption im Grunde genommen in vielen Lebensbereichen (Politik, Wirtschaft, sozialem Zusammenleben, Privatbereich) erfolgen kann1. Diese Tatsache ist überaus problematisch. Denn es gibt viele subtile Formen, Macht zugunsten der eigenen Interessen auszuüben, und auch nicht alle Lebensbereiche sind für den Gesetzgeber und die Gesellschaft gleich durchlässig. In der Praxis versteht man unter Korruption meist den Machtmissbrauch im öffentlichen Bereich. Auch im Folgenden wird das Augenmerk auf diese Art von Korruption und deren Bekämpfung durch TI gelenkt.

Korruption - ein weltweites Phänomen

Seit etwa zwanzig Jahren werden Korruptionsphänomene zunehmend intensiv erforscht. Die ökonomischen Untersuchungen zu Beginn der 1990er Jahre haben sich vor allem mit den Fragen nach den Wurzeln und Auswirkungen von Korruption befasst. Diese sind Fachleuten, nicht immer jedoch der Öffentlichkeit bereits weitgehend klar, sodass die Aufmerksamkeit heute vielmehr auf die verschiedenen Erscheinungsformen eines so vielfältigen und sich so rasch ändernden Phänomens gerichtet ist.

1. Die Wurzeln. Korruption ist ein weltweites Phänomen, das sowohl in reichen als auch in armen Ländern gedeiht bzw. im Prinzip gedeihen kann. Entgegen einem weit verbreiteten falschen Bild von Korruption, das zweifellos befriedigend, ja schmeichelhaft für BürgerInnen postindustrieller Länder ist, korreliert Machtmissbrauch nicht unbedingt und nicht ausschließlich mit Bildungsdefiziten und wirtschaftlichen Substandards, wenngleich diese Faktoren Armut bestärken und Korruption tendenziell deutlich fördern.

Der Sudan und die Philippinen etwa sind laut dem letzten TI-Bericht 2013 zwei der wenigen Länder, in denen Korruption abgenommen hat2. Die Ursachen dieses Phänomens sind unterschiedlich. Dazu zählen neben Armut und Entwicklungsdefiziten auch andere ökonomische und psychosoziale Faktoren wie das Vorhandensein oder die Zunahme starker Ungleichheiten bei der Verteilung des Reichtums; verbreitete Anomie (Korruption als Kavaliersdelikt); allgemeines Misstrauen gegenüber Menschen mit öffentlicher Verantwortung und gravierende Entfremdung zwischen der Bevölkerung eines Landes und deren regierenden Institutionen; der Druck transnationaler Betriebe auf Institutionen, um die eigenen Interessen auf Kosten der Interessen eines Landes durchzusetzen3.

Die Frage nach den Wurzeln dieses selbstbezogenen Machtmissbrauchs ist politisch durchaus praxisrelevant. Denn jenseits all dieser erwähnten Faktoren kann Korruption insgesamt als eine Anomalie, das heißt als Resultat und Summe individueller abwegiger Verhaltensweisen innerhalb einer Gesellschaft oder als das endogene Problem einer bestimmten sozialen (Un-)Ordnung interpretiert und in der Folge bekämpft werden. Im ersten Fall wird der Akzent auf die Kontrolle von Individuen, im zweiten auf die Reform oder sogar den Abbau jener sozioökono­mischen und politischen Strukturen gelegt, die unweigerlich Korruption hervorbringen.

Angesichts aktueller Entwicklungsprozesse der globalen Marktwirtschaft scheint diese Kernfrage berechtigt. Die Antwort ist aber nicht eindeutig. Sehr wenige Menschen positionieren sich in der Praxis auf einem Extrem dieser beiden interpretativen Pole. Allerdings ist gewiss bedeutsam, inwieweit Mitglieder einer Organisation gegen Korruption an die soziale Ordnung glauben, in der sie leben. TI schlägt dabei eher einen Reformkurs ein, ohne deshalb davon abzusehen, für die Notwendigkeit bestimmter struktureller Änderungen zu plädieren. Andere Organisationen - wie etwa Attac - zeigen sich kritischer gegenüber aktuellen globalen Prozessen, im Zuge derer sich der Finanzkapitalismus und der Primat des Marktes durchsetzen, und erarbeiten Alternativen zur aktuellen Wirtschaftsordnung wie etwa Umverteilungsmaßnahmen.

2. Konsequenzen. Als erste Konsequenzen der Korruption wurden die ökonomischen Folgen untersucht. Die negativen Konsequenzen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung innerhalb eines Landes und auch global sind heute unumstritten. Durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) der Europäischen Kommission wurden etwa im Zeitraum 1999 bis 2012 EU-Gelder in der Höhe von über 1,1 Milliarden Euro wieder eingezogen, die sonst durch Machtmissbrauch verloren gegangen wären4. Einige AutorInnen wollen in korrupten Handlungsweisen positive Auswirkungen sehen (z. B. die Schattenwirtschaft als Mittel gegen Erwerbslosigkeit). Was von solchen Beiträgen gewonnen werden kann, ist die Mitberücksichtigung kultureller Faktoren und unterschiedlicher sozialer Kontexte in einer Zeit "ungleichzeitiger Gleichzeitigkeiten". Dies kann die langfristigen Folgen von Korruption jedoch in keiner Weise ausblenden. Korruption blockiert Entwicklungsprozesse in einigen Ländern, bedroht den bereits erreichten Wohlstand in anderen und schürt überall soziale Instabilität. Langfristig wird der Staat ausgehöhlt, sodass seine Rolle als Garant von Rechten geschwächt wird, während soziale Ungleichheiten zunehmen - daher die Bedeutung von Instrumenten, um ein derart schädliches Phänomen so genau wie möglich analysieren und in der Folge bekämpfen zu können.

3. Erscheinungsformen. Die legale Identifizierung von Korruption als Verbrechen im öffentlichen Leben und ihre anschließende Bestrafung sind sehr schwierig. Zum einen, weil, wer gesetzwidrig handelt, keinerlei Interesse an Klarheit hat; zum anderen, weil es gerade deshalb zahlreiche Schattierungen korrupten Handelns gibt. Bestechung (Agentenkorruption) muss nicht unbedingt explizit ausgedrückt oder plump und unmittelbar entgolten werden. Phänomene der sogenannten "Netzwerkkorruption" ("man kennt sich und man hilft sich"5) sind ebenfalls schwer fassbar. Daher werden nicht alle korrupten Verhaltensweisen von Gesetzes wegen als Verbrechen kategorisiert und verfolgt - und selbst wenn, sind diese nicht immer ausreichend beweisbar. Transparenz ist somit die unverzichtbare Grundvoraussetzung für die Vorbeugung und auch Bekämpfung von Korruption: Je deutlicher die Befugnisse und Handlungsgrenzen von Menschen, die ein Amt bekleiden, definiert werden, je besser alle Beteiligten informiert sind, desto weniger Raum bleibt für korruptes Handeln. Dass die heute wichtigste zivile Organisation gegen Korruption den Namen "Transparenz" trägt, verweist auf diese Kerneinsicht.

Darüber hinaus entstehen im Zeitalter der Globalisierung nicht nur neue Korruptionsformen (etwa die "Militarisierung der Armut in Afrika"6) oder gewinnen alte an Bedeutung (z. B. im Bereich des Menschenhandels), sondern erscheinen auch transnationale Formen des Machtmissbrauchs. Kein Land ist heute frei von Korruption. Vielmehr ändern sich bloß ihre Erscheinungsformen, je nach den sozioökonomischen Rahmenbedingungen:

"Ist ein Land erst einmal industrialisiert, verschwinden Regierungs- und Korruptionsherausforderungen nicht schlagartig. Sie ändern einfach ihre Gestalt und werden ausgeklügelter bzw. anspruchsvoller. Die Übergabe eines Aktenkoffers mit Bargeld kommt weniger häufig vor."7

Transnationale Korruptionserscheinungen erfordern heutzutage zuerst einmal immer bessere und intensive Beobachtungsmethoden und dann solide Koalitionen und Vernetzungsarbeit im Hinblick auf deren Bekämpfung. Wie trägt nun TI diesen beiden Aspekten - Monitoring und Vernetzungsarbeit - Rechnung?

Transparency International und der Kampf gegen Korruption heute

Durch die erwähnten neuen Korruptionsformen wird das allgemeine Bewusstsein geschärft, weshalb der Kampf gegen Korruption seit Anfang der 1990er Jahre sehr aktiv geworden ist. Das Phänomen wird in der Wissenschaft systematisch untersucht. Offizielle Institutionen definieren ihre eigenen Strategien. Auch Organisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft entstehen, um Korruption den Kampf anzusagen.

1. Internationale Institutionen. Je nach Identität definieren internationale Institutionen ihre eigenen Schwerpunkte beim Kampf gegen Korruption. Bei ihrer Arbeitsweise setzen alle den Akzent auf Monitoring und Kooperation zwischen Staaten. Der Europarat geht gegen wirtschaftliche Korruption und Geldwäsche vor8. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verabschiedet regelmäßig Richtlinien und Empfehlungen für die Regierungen ihrer Mitgliedsländer zur Bekämpfung von Korruption im öffentlichen Bereich und verweist seit 2009 auf die Bedeutung transnationaler Korruption im Handel. Innerhalb der Europäischen Union hat die Kommission 1999 das Ressort OLAF gegründet, um Korruption innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU entgegenzuwirken9.

Auch die Vereinten Nationen bekämpfen die Korruption und haben 2003 die United Nations Convention against Corruption (UNCAC), den ersten weltweit völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Bekämpfung der Korruption, verabschiedet, der im November 2013 von 168 Staaten - darunter Österreich und die Schweiz, nicht aber Deutschland - ratifiziert wurde10. In dieser Konvention wird nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, Korruption durch eine Kombination zweier Arten von Interventionen entgegenzusteuern, nämlich durch Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen. Dazu sind nicht nur eine präzise und aktualisierte Gesetzgebung, sondern auch andere Elemente erforderlich, wie etwa Koordinationsarbeit zwischen den diversen politischen Institutionen; laufende zuverlässige Kenntnisse des Phänomens (Monitoring durch WissenschaftlerInnen); Bildungsmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen (Schulwesen, Erwachsenenbildung, Sensibilisierungs- und Informationsoffensiven). Auch die OECD unterstreicht die Bedeutung dieser Elemente und hat darüber hinaus einen internationalen Vergleich verschiedener Institutionen vorgelegt, die auf den Kampf gegen Korruption spezialisiert sind, um die Wirksamkeit unterschiedlicher Strategien zu ergründen11. Die Botschaft ist klar: Der Kampf gegen Korruption ist Sache aller und muss alle Kräfte in einer Gesellschaft mobilisieren, um erfolgreich zu sein. Dieselbe Erkenntnis findet sich auf den Webseiten der Sektionen von TI als Ausgangspunkt ihres Selbstverständnisses.

2. Zivile Organisationen. Seitens der Zivilgesellschaft sind in den letzten Jahren weltweit zahlreiche Initiativen und Vereine entstanden12. Sie unterscheiden sich nach dem geografischen Handlungsgebiet und auch nach ihrem Arbeitscharakter. Dazu nur einige Beispiele: Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine Non-Profit-Organisation, welche die Privilegien von Lobbyisten und deren missbräuchlichen Einfluss auf politische Entscheidungen der EU untersucht und bekämpft.

GOPAC (Weltorganisation von Abgeordneten gegen Korruption)13 ist ein Netzwerk von PolitikerInnen aus Lateinamerika (Mexiko), Afrika und Asien, die einander unterstützen, Erfahrungen austauschen und nationale Kampagnen zur Sensibilisierung der Bevölkerung durchführen. Auch in der Wirtschaft entstehen spezifische Initiativen. So etwa hat der deutsche Verein BME (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik) im Jahr 2010 die "BME-Compliance" gestartet, um Unternehmen bei der Definition von internen Normen zur Vorbeugung von Korruption zu unterstützen. Manche nationalen Initiativen und Organisationen zeigen einen deutlichen reaktiven Charakter und wenden sich gegen Missstände in ihrem eigenen Land, wie etwa die österreichische Aktion "Zwitschern gegen Korruption"14 oder die spanische "Liga Anticorrupción"15.

Eine Welt ohne Korruption?

Transparency International wurde im Jahr 1993 gegründet. Ihre Vision:

"Eine Welt, in der die Regierung, das politische Leben, die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und das Alltagsleben der Leute frei von Korruption sind."16

Ein derart anspruchsvolles Ziel versteht sich aus der Entstehungsgeschichte der NGO. Peter Eigen, Gründer von TI, arbeitete jahrelang für die Weltbank in Ostafrika und kam aus eigener Erfahrung zur Einsicht, dass Korruption Entwicklungsprojekte zunichtemacht. Allerdings erkannte er, dass ihm die erforderliche Bekämpfung der Korruption im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei der Weltbank unmöglich war. Und so keimte in ihm die Idee, zu diesem Zweck eine Organisation der Zivilgesellschaft zu gründen17.

1. Eine wichtige Organisation. TI ist heute zweifelsohne die wichtigste Nicht-Regierungsorganisation, die sich spezifisch mit Integrität im ökonomischen und politischen Leben befasst. Die Gründe für ihre Bedeutung sind unterschiedliche: TI ist es seit 1993 gelungen, ein sehr breites Netzwerk aufzubauen. Die Dachorganisation zählt derzeit mehr als 100 nationale Sektionen, wenngleich nicht alle dasselbe Gewicht haben: In Russland und Japan ist die Präsenz de facto sehr schwach, selbst wenn diese Länder auf der Weltkarte von TI als Sektionen der Organisation aufscheinen; ähnliches gilt für China18.

Nichtsdestoweniger ist das TI-Netzwerk beachtlich - und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Den Gremien der Dachorganisation sowie der nationalen Sektionen gehören überdurchschnittlich qualifizierte Menschen mit Fachkenntnissen und oft Erfahrungen in den Bereichen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft an. Dieses Humankapital ermöglicht eine wirksame und intensive Vernetzungsarbeit auf hohem Niveau, die einer zentralen Überzeugung der Organisation entspricht:

"Eine effektive und nachhaltige Bekämpfung und Eindämmung der Korruption ist nur möglich, wenn Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und Koalitionen bilden."

2. Finanzierung und Organisation. Die Finanzierungskriterien von TI richten sich nach drei Prinzipien: Unabhängigkeit gegenüber politischen Institutionen und ökonomischen Betrieben; weitgehende Selbstständigkeit der nationalen Sektionen; Transparenz bei der Budgetierung.

Um diesen Prinzipien Rechnung zu tragen, werden die verschiedenen Arten von finanziellen Beiträgen (Mitglieder, Sponsoring) begrenzt. Darüber hinaus finden sich auf der Webseite der Dachorganisation ausführliche Informationen über deren Finanzierungskriterien, deren Haushaltspläne, die eingehenden Spenden sowie die Institutionen, die sie fördern. 2013 plante die NGO Einkünfte im Wert von 28 170 000 Euro. Circa 90 Prozent davon kamen von Institutionen, 3,6 Prozent von privaten SponsorInnen, knapp 0,3 Prozent von Stiftungen und rund 5,5 Prozent aus anderen Quellen19. Bis dato erfreut sich TI eines hohen Ansehens bei den Massenmedien, und es gab keine Nachricht über Unregelmäßigkeiten bei den Finanzen von TI. Allerdings ist TI - wie andere NGOs auch - von öffentlichen Geldern abhängig - eine Tendenz, die sich offensichtlich durchsetzt:

"Die NGOs sind somit abhängiger von den politischen Richtlinien der Staaten, die sie finanzieren, als es ihr Name vermuten lässt."20

3. Koalitionen. Die Sorge um Koalitionen prägt die Praxis von TI: "Wir arbeiten nicht konfrontativ."21 Versucht wird in erster Linie, Alliierte zu gewinnen, um Vorbeugungsstrategien zu entwerfen. Dabei wird auf Protest und Denunzierung konkreter Korruptionsfälle - zumindest im Prinzip - verzichtet. Der Blick richtet sich vor allem auf den Soll- und nicht auf den Ist-Zustand. Diese Akzentsetzung unterscheidet Transparency International von NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International22. Letztere befassen sich mit Menschenrechten und nicht primär mit Korruption; in der Praxis jedoch sind so viele Verletzungen von Menschenrechten auf Machtmissbrauch zurückzuführen, dass die beiden erwähnten bekannten Organisationen ständig mit Korruption konfrontiert sind. Dabei sind Anwaltschaft, moralische Denunzierung und Verweise auf Einzelfälle unverzichtbare Bestandteile ihrer Praxis, was bei TI nicht der Fall ist.

Die Suche nach Koalitionen erklärt auch, warum die Mitglieder von TI sowohl Individuen als auch Institutionen wie Kommunen oder juristische Personen des privaten Rechts wie Betriebe oder Vereine sind. Darunter befinden sich auch sehr mächtige juristische Personen. 2010 beispielsweise waren Daimler AG, Deutsche Bahn AG, Deutsche Lufthansa AG, Allianz SE, Hochtief AG sowie die Robert Bosch GmbH Mitglieder von TI-Deutschland. Durch die Mitgliedschaft solcher Schwergewichte wird das Handlungs-, Einfluss- und Vernetzungspotenzial der Organisation offenkundig gestärkt, sie birgt aber auch deutliche Risiken. So wurde die Mitgliedschaft der Siemens AG bei TI-Deutschland im Dezember 2006 einvernehmlich gekündigt23. Die Mitgliedschaft von Firmen wird von TI-Deutschland im Prinzip begrüßt, weil sich dadurch die Chance eröffnet, beim Kampf gegen Korruption voneinander zu lernen. Hat eine Firma kein transparentes Profil oder benutzt sie ihre Mitgliedschaft bei TI zur Image-Pflege, kann dies die Autorität von TI beeinträchtigen. Davor schützt sich die Organisation durch ein striktes Mitgliedschaftsprinzip24. Das Risiko bleibt aber bestehen.

Um Integrität zu ermöglichen, wird vorwiegend auf qualifizierte Koalitionen gesetzt - eine an sich legitime Handlungsstrategie. Nicht ganz so deutlich zum Ausdruck kommt in den Texten von TI allerdings, wann und wo Koalitionen mit nicht so qualifizierten, nicht so mächtigen, nicht so einflussreichen Menschen eingegangen werden, obwohl auch diese wertvolle Informationen zur Vorbeugung von Korruptionsformen hätten, mit denen sie selbst so oft leben müssen.

4. Vorbeugungsarbeit. Bei TI wird vorwiegend präventiv gearbeitet. Wichtig ist, strukturelle Veränderungen zu erreichen, um Integrität zu ermöglichen. Hauptziele der Organisation sind zum einen, ein Bewusstsein der schädlichen Folgen von Korruption zu schaffen; zum anderen, nationale und internationale korruptionsfreie soziale Bereiche zu stärken. Vernetzungsarbeit ist nicht bloß eine Phase der Tätigkeit von TI, sie bildet vielmehr die Achse aller Aktivitäten: Durch Kontakte mit Regierungen, Fachleuten, UnternehmerInnen und NGOs gewinnt TI genaue Daten über die Korruption - ihren Grad, ihre Erscheinungsformen - in verschiedenen Ländern. Diese Erkenntnisse fließen in allgemein zugängliche Publikationen ein. Auch entwickelt die Organisation gemeinsam mit ihren PartnerInnen mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption. Darüber hinaus betreiben TI-Mitglieder Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit durch persönliche Kontakte mit Individuen, Gruppen und Einrichtungen.

5. Brisante Schwerpunkte. Diese ständigen Austauschprozesse befähigen TI auch, für das Aufspüren neuer Formen von Machtmissbrauch entsprechende Schwerpunkte zu erarbeiten und durch Initiativen Gegenstrategien zu starten. Beispiele dafür sind die aktuelle Initiative zum legalen Schutz von Whistleblowing (Aufdeckung von Missständen) in der Europäischen Union oder die internationale Beobachtung von Korruption auf dem Militärsektor. Der entsprechende Bericht, in dem 28 Arten dieser spezifischen Korruption identifiziert werden, wurde im Oktober 2013 veröffentlicht25.

Da die nationalen Sektionen von TI durchaus autonom arbeiten, werden die meisten Initiativen auf dieser Ebene gestartet. Beispiele dafür sind die 2010 von TI-Deutschland gestartete Transparenzoffensive für Spenden und zur Unterstützung des DZI-Spenden-Siegels oder die Kampagne von TI-Kroatien "Public interest - not for sale" im Jahr 2011. Die Sektionen vertreten nicht nur die gemeinsamen Themen der Dachorganisation, sondern setzen auch eigene Arbeitsschwerpunkte. TI-Österreich zum Beispiel befasst sich mit Korruptionsvermeidung in der Entwicklungszusammenarbeit und bietet entsprechende Unterstützung. TI-Polen hat 2012 ein "Assessment of the National Integrity System (NIS)" zur Evaluierung der eigenen nationalen Institutionen bereitgestellt. TI-Irland bietet Vorlagen für die Regulierung von Lobbying. TI-Ungarn beobachtet und kritisiert die eigene Gesetzgebung über die Finanzierung von politischen Parteien und Wahlkampagnen.

Konkrete Stellungnahmen der Sektionen von TI sind nicht üblich, erfolgen aber immer wieder. So hat TI-Österreich am 19. November 2013 insgesamt 15 Forderungen gegen Korruption an Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft vorgelegt. Darunter unter anderem den Ausbau von Whistleblower-Systemen oder die Einbeziehung von Kommunen unter 10 000 Einwohnern in die "Compliance-Regeln" (Regelkonformität bezüglich Maßnahmen gegen Machtmissbrauch)26. TI-Deutschland hat im Zuge der Affäre wegen der Großspende der Familie Quandt an die CDU die Einberufung einer Sonderkommission durch den Bundespräsidenten verlangt und dabei genauso wie die NGO LobbyControl für eine Begrenzung der Höhe der Spenden an politische Parteien (maximal 50 000 Euro pro Konzern und Jahr) plädiert27.

6. Publikationen: Materialien und Berichte. Die Veröffentlichungen von TI können im Internet gratis heruntergeladen werden. Sie verfolgen durchwegs entweder das Ziel der Bewusstseinsbildung durch Verbreitungsarbeit oder das Ziel des Monitorings. Zu den ersten Publikationen zählen verschiedene Materialien, in denen die Bedeutung von Antikorruption erklärt wird und Präventionsmaßnahmen im Alltag vorgestellt werden. Darunter zum Beispiel die "Corruption Fighters' Toolkits", die in erster Linie für Pädagogen und NGOs gedacht sind, oder die "Integrity Pacts" für Institutionen.

Schließlich befasst sich TI auch mit Korruptionsforschung und stellt Fachleuten ihre "Gateway corruption assessment toolbox" zur Verfügung. Der bekannteste Beitrag der NGO ist aber zweifelsohne die Erstellung eines Korruptionsindex (CPI). Auf Basis dieses Index werden regelmäßig Berichte veröffentlicht. Die meistzitierten sind Weltberichte, die einen Überblick über den Stand der Korruption in den verschiedenen Ländern bieten. Diese Berichte erscheinen jährlich, wobei auch Entwicklungsprozesse verfolgt werden können. Hinzu kommen spezifische Berichte, 2013 beispielsweise der "Global Corruption Report Education" und der Bericht "Exporting Corruption". Letztere Publikation beurteilt die Effizienz der Durchsetzung der OECD-Konvention gegen Korruption.

7. Beitrag und Grenzen eines Index. Der Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index: CPI) von TI wird vom Internet Center for Corruption Research in Passau erarbeitet und ist zweifelsohne wertvoll: Erstmals wird damit eine systematische Beobachtung der Korruption ermöglicht, wodurch auch das allgemeine Bewusstsein für dieses Problem beachtlich gestiegen ist. Dieses Instrument birgt aber auch einige methodische Schwierigkeiten. Der Korruptionswahrnehmungsindex misst die wahrgenommene - nicht aber die tatsächliche - Korruption bei BeamtInnen und PolitikerInnen in einem Land und wird auf Basis verschiedener Umfragen und Untersuchungen erstellt. Dahinter steht eine durchaus komplexe Methodologie, die allmählich entwickelt und verfeinert wird. Der CPI muss daher durch andere Zugangsweisen wie den Bestechungszahlerindex ergänzt werden, wenn ein verzerrtes Weltbild - die integren Länder des Nordens wider die korrupten Länder des Südens - überwunden werden soll.

Alle diese professionellen Feinheiten sind schwer zu vermitteln und dringen daher kaum in die öffentliche Meinung vor, wo meist lediglich das Ranking von Ländern bekannt wird, das isoliert betrachtet methodisch problematisch ist28. Für SozialwissenschaftlerInnen sind Rankings meistens approximative Angaben, in der Öffentlichkeit aber wirken sie anders. Oft tragen sie dazu bei, ungenaue Bilder zu verbreiten oder Vorurteile zu bestärken.

Eine reformorientierte NGO

Transparency International ist eine seriöse und engagierte NGO mit einem sauberen Image in den Massenmedien. Wie viele andere NGOs ist auch sie auf öffentliche Gelder angewiesen. Sie arbeitet vorwiegend über qualifizierte Mitglieder, Koalitionen und Vernetzungen, weniger fachqualifizierte Basisbewegungen und PartnerInnen sind nicht so sehr sichtbar. Die Partnerschaft mit Konzernen ist zwar riskant, bis dato ist es der NGO aber gelungen, keinen Schaden aufgrund dieser Zusammenarbeit zu nehmen.

Transparency International ist eine reformorientierte Organisation, die bei der Bekämpfung von Korruption immer wieder entschieden Stellung bezieht, ohne die Sozialordnung als solche infrage zu stellen. Obwohl die Weitergabe der Ergebnisse an die Öffentlichkeit nicht immer unproblematisch ist, ist ihr Beitrag zur allgemeinen Wahrnehmung von Korruption, zur Erforschung dieses Phänomens sowie zu seiner Bekämpfung unleugbar.

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