Wie "tickt" Karl Rahner?

Der Ausdruck ist weder schön noch sonderlich präzis; er lässt an ein Uhrwerk denken, nicht an eine Person. Aber er ist "en vogue", um zu erklären, wie einer sieht und denkt, wie seine Sorgen und Anregungen zustande kommen. Karl Rahner SJ ist vor dreißig Jahren - fast eine Generation -, am 30. März 1984, 80-jährig in Innsbruck gestorben. Warum werden seine Beiträge nach wie vor herangezogen und gelesen, wo doch der seither beträchtliche Wandel unübersehbar zu spüren ist?

Sagen wir es einfach: Karl Rahner ist Sucher und Entdecker, niemand, der einfach nur wiederholt und sich damit zufrieden gibt, nicht einmal für sich selbst. Das Meiste hat er im Eingehen auf damals drängende Herausforderungen entwickelt, gerade darum mit wenig Chancen, auf Dauer bedeutsam und hilfreich zu sein. Dennoch finden Menschen bis heute mit ihrem Fragen und Suchen bei ihm einen, den sie nicht missen möchten - selbst wenn ihnen klar ist, dass vieles aus einer anderen geistigen Welt stammt. Als er in den 1950er Jahren die Situation der Kirche als die einer wachsenden Diaspora zeichnete, warf man ihm Defätismus vor. Heute ist das Wirklichkeit, an der nicht vorbeizukommen ist. Er wich schon damals der Notwendigkeit nicht aus, "wirklich auf ein theoretisch Neues" zu zielen, eine "neue Konzeption" zu versuchen, wo ihm Einschätzung und Beurteilung der gegebenen Lage ein "heilsgeschichtliches Muß" ergaben für das Zeichen, "dem widersprochen wird" und wozu "Mittel und Methoden […] wohl erst gefunden werden" müssen.

Sorgsam hat er Hinweise auf Zukunft gesammelt und manches angesprochen, das erst in unserer Zeit voll aktuell wird, etwa in der Entwicklung von Glaube und Kirche, um sich nicht "selbst zu verraten und defätistisch feige zu sein". Nicht in dicken Büchern hat er das gesagt, sondern in Stellungnahmen, Reden, Aufrufen, Überlegungen, aus denen anschließend Beiträge und "Schriften zur Theologie" wurden. Über den 1995 gestarteten Bänden der "Sämtlichen Werke" kann das leicht übersehen und vergessen werden; von der auf 32 Bände angelegten, dankenswerten Edition sind nur mehr drei ausständig.

Karl Rahner ging dabei nicht vorschnell und oberflächlich vor. Er legte sein Fragen und Suchen so grundsätzlich an, dass die Entdeckung der neuen Möglichkeiten und Notwendigkeiten gegen alles bloße Festschreiben und Festzurren, gegen nur verengendes Behaupten und Sichern die Lebendigkeit des Christlichen in Geschichte und Welt oft erstaunlich und überraschend belegt. Unsicherheiten und Schrecken der Zeit prägen diese Versuche mit, die indes ihre Grundlage und Wurzeln in jener ursprünglichen Verfasstheit des Menschen haben, die gegenüber allen radikalen Infragestellungen das göttliche Geschenk der Zuversicht und Hoffnung zu entdecken erlaubt. Da braucht keine echte Herausforderung überspielt oder ausgeblendet zu werden. Christentum und Kirche haben sich in so verschiedenen Situationen nicht nur mühsam verteidigt und gerade behauptet, sondern vielfach neue Wege entdeckt und die Welt mitzugestalten gewusst. Das hat nicht selten später Vorwürfe ausgelöst, die nur zeigen, dass Nachgeborene immer klüger sind als Frühere.

Karl Rahner ist sich des Risikos bewusst, nimmt es aber ausdrücklich auf, wenn er vom "Tutiorismus des Wagnisses" spricht. Wir kommen nicht ohne "Unterscheidung der Geister" zurecht, wie sie ihm aus den "Geistlichen Übungen" seines Ordensvaters Ignatius von Loyola (1491-1556) vertraut war. Alles auf der Erde soll dem Menschen bei der Verfolgung seines Zieles helfen - und er hat es so zu gebrauchen, dass es ihm dabei hilft, und es so zu lassen, wie es daran hindert. Eine entsprechend weite Freiheit ist für Karl Rahner typisch.

Diese steht jedoch unter dem Anspruch des "konkreten Willens Gottes": Was will Gott hier und heute konkret von mir? Die Antwort geben keine allgemeinen Anweisungen und kein System; sie ist auch nicht einfach von den "Zeichen der Zeit", sondern nur im ständigen Umgang mit Gott zu erwarten - darum die Suche, darum das Entdecken und seine Art. Dazu mögen auch Philosophie und Geschichte, Psychologie oder Naturwissenschaft und anderes dienen, freilich immer nur unter dem Vorzeichen des Menschen, der von Gott sich selbst und seine Berufung hat. Nicht Wissenschaft um der Wissenschaft willen, nicht Monumente oder Dokumente eigenen Beitrags helfen da weiter. Und sogar die Frohbotschaft kann dabei nicht als Computerprogramm eingesetzt und angewandt werden. Die Freiheit Gottes trifft auf die Freiheit des Menschen, und die Verantwortung des Menschen lässt Karl Rahner von "Gnade als Freiheit" sprechen, die der Dynamik des Geistes ihre Richtung weist, der ein Mensch indes auch entgegen handeln kann, wenn er versagt, ohne damit Gott aufheben oder zwingen zu können. Der ist immer größer als unser Herz.

Auf solch ein "Ticken" und Denken mag sich auch heute ein Mensch einlassen. Hier findet er, was ihm sonst von mancher Seite in Frage gestellt wird. Da gerät nicht alles ins Wanken, wie einige behaupten, sondern da wird ganz im Gegenteil jener Halt gewonnen, wie er in dieser Zeit verantwortlich zugänglich gemacht werden kann, nämlich "wie ein Mensch von heute zum Glauben an diesen Gott wirklich kommen kann". Dazu bleibt freilich noch vor menschliches "Ticken" zurückzufragen, wo Gott wirkt als Schöpfer, als Erlöser, als Heiliger und Wirklichkeit setzt, die immer als Geschenk mitgegeben, darum aber nicht selbstverständlich keiner geistigen Bemühung mehr bedürfte.

Karl Rahners Frage nach einer ersten Reflexionsstufe sei abschließend noch erwähnt. Er sah die Aufgabe darin, "nicht nur Altes besser zu machen, sondern auch Neues zu tun, das konkret noch nicht gedacht und getan wurde". Hat man sich "vor einer solchen Möglichkeit […] bisher verschlossen"? Auf der anderen Seite ermutigt der Jesuitentheologe dazu, weiter zu gehen - über das hinaus, was dem Menschen gegeben ist, bis in jenes Schweigen und jene Anbetung hinein, die ebenfalls die größeren Möglichkeiten andeuten und erschließen.

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