Der Name ist Programm: Papst Franziskus

Diese Wahl war eine echte Überraschung. Wer konnte ernsthaft damit rechnen? Ein Nichteuropäer, zum ersten Mal seit über 1200 Jahren, ein Lateinamerikaner, ein Ordensmann, ein Jesuit, auch das ein Novum - alles ein bisschen viel auf einmal. Und dann auch noch ein völlig neuer Name: Franziskus. Der Name ist Programm - daran kann kein Zweifel aufkommen.

"Kann das gut gehen?", fragte Daniel Deckers in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, und: "Jetzt kommt ein Jesuit und nennt sich Franziskus."1 Die Frage kann allenfalls eine rhetorische sein. Denn wir haben jetzt einen neuen Papst, und die ersten Eindrücke, schon auf der Benediktionsloggia des Petersdoms an jenem Mittwochabend kurz nach 20 Uhr, als er sich mit einem simplen "Buona sera" vorstellte und damit nicht nur die Menge auf dem Petersplatz, sondern Menschen weltweit an den Bildschirmen für sich einnahm, sind gut. Dieser Mann strahlt Natürlichkeit aus, er ist spontan, unkompliziert, einfach, volkstümlich, humorvoll, er weicht vom Protokoll ab, er kommt an - ein Sympathieträger.

"Barmherzigkeit", "Zärtlichkeit" - solche Vokabeln in den ersten Tagen, noch vor der feierlichen Amtseinführung am 19. März, dem Fest des heiligen Josef, können keine bloße Rhetorik sein. Man nimmt dem Papst ab, dass er es ernst meint.

Hoffnung auf die Kraft der Orden?

Ich gehe davon aus, dass die im Konklave versammelten Kardinäle wussten, was sie taten. Sie trauen Papst Franziskus zu, die Kirche zu leiten. Dafür haben sie sich, erstmals seit Gregor XVI. (1831-1846), für einen Ordensmann entschieden. Und noch dazu für einen aus dem Jesuitenorden.

Das wird bei dem einen oder anderen sicher Befürchtungen wachrufen, Ängste vor jesuitischen Verschwörungen und Machenschaften werden nicht ausbleiben. "Macht und Geheimnis der Jesuiten" ist Stoff für Romane und Gruselgeschichten. Aber Kirche ist Wirklichkeit, nicht Da Vinci Code à la Dan Brown. Und Jesuiten sind schon gar keine "Illuminati". Papst Johannes Paul II. pflegte Pedro Arrupe SJ, von 1965 bis 1983 Generaloberer der Jesuiten, manchmal mit den Worten zu empfangen: "Hier kommt ja der papa nero." Der "weiße Papst" empfing gleichsam den "schwarzen Papst". Arrupe, kirchentreu bis ins Mark, war darüber "not amused". Aber solche Klischees geistern herum, und sie kommen jetzt natürlich unvermeidlicherweise wieder auf. Nun stellen die Jesuiten also auch noch den "weißen Papst"!

Die Wahl von Jorge Mario Bergoglio bedeutet aber sicher nicht, dass der Einfluss der Jesuiten im Vatikan stärker wird als bisher. Viele freuen sich, dass erstmals ein Jesuit die Geschicke der Kirche leitet, und sie trauen diesem Mann viel zu.

Karriereplanung gibt es im Jesuitenorden nicht. Kirchliche Würden und Ämter anzustreben, ist ausdrücklich verboten. Und man wird schon gar nicht Jesuit, um später als Bischof eine Diözese zu leiten oder Kardinal zu werden. Dass es über 80 Jesuitenbischöfe und einige Jesuitenkardinäle gibt, hängt mit spezifischen Situationen zusammen - und damit, dass der Papst auf diesen Ernennungen bestand und der Generalobere (und der Betreffende) sich fügten. Ordenschristen bilden in vielen Regionen eine "Kontrastgesellschaft" zur etablierten Kirche.

Kommt jetzt die Kurienreform?

Papst Franziskus könnte gelingen, was viele erwarten und sich sehnlichst wünschen, auch Kardinäle und Bischöfe, nicht nur notorische Rom-Kritiker: eine längst überfällige Kurienreform. Der "Tablet" vom 16. März 2013 titelte, vermutlich nicht ohne süffisante Hintergedanken mit dem Konterfei des bisherigen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone SDB: "A house that needs putting in order"2 - Ein Haus, das in Ordnung gebracht werden muss.

Stichwort Ordnung: Papst Franziskus soll aufräumen im Vatikan, mit Traditionen brechen, für Transparenz und Fairness sorgen, vielleicht ein Kabinett einrichten, für bessere Koordination sorgen, die Abläufe vereinfachen3, klar machen, dass die Kirche für die Menschen da ist und nicht die Menschen für die Kirche … Viele Erwartungen werden an ihn formuliert. Jetzt muss man schauen, was wird.

Der Kirchenhistoriker Mariano Delgado (Universität Freiburg/Schweiz) betont wie viele andere, das Papsttum müsse "ideologisch abrüsten": "Abbauen, was es an Sakralisierung vorangetrieben hat, und den Klerikalismus überwinden."4 Der Innsbrucker Dogmatiker Józef Niewiadomski hat bezüglich der Herkulesaufgabe einer Kurienreform darauf hingewiesen, dass eine solche nur Sinn habe, wenn der Weltepiskopat auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht "heiße Eisen" vorauseilend nach Rom delegiert5.

Gelebte Kollegialität schaut anders aus als das, was in den letzten dreißig Jahren sichtbar wurde6.

Ein Papst "vom Ende der Welt" - mit einer "dunklen Vergangenheit"?

Offen gestanden, meine erste Reaktion: Ich bin erschrocken, als ich den Namen Bergoglio hörte - ein Papst vom "Ende der Welt" ("all fino dell mondo"), wie er selbst sagte. Eine Ahnung kam hoch und auch die Erinnerung an den April 2005. Und so kam es ja auch, ziemlich schnell und ziemlich heftig - dieselben Meldungen, dieselben Vorwürfe: Jorge Mario Bergoglios Rolle während der Militärdiktatur in Argentinien.

Ich saß am Mittwochabend, dem 13. März, in einem Hotel in Mailand - eine Reise, bei deren Planung weder bekannt war, dass Papst Benedikt XVI. zurücktreten noch dass ein Konklave stattfinden würde. Die lange Stunde zwischen dem Aufsteigen des weißen Rauchs und der Ankündigung des neuen Papstes durch den französischen Kurienkardinal Jean-Louis Tauran, den Kardinalprotodiakon, verfolgte ich auf BBC World. Zwei Tage zuvor hatte ich noch am Grab von Kardinal Martini im Mailänder Dom für eine gute Wahl gebetet. Der Jesuit Carlo Maria Martini (1927-2012) war 2005 einer der Top-Favoriten des reformwilligen Flügels der Kardinäle im Konklave, aus dem Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. hervorging.

Schon damals gab es, weil auch Bergoglios Name genannt wurde, eine Reihe von Presseberichten, die auf eine "dunkle Vergangenheit" während der Zeit der Militärjunta (1976 bis 1983) hingewiesen haben, als Bergoglio mit General Jorge Rafael Videla und Admiral Emilio Eduardo Massera verhandeln musste. Weil ich 2004/05 in den USA war und in der Nähe von Boston den letzten Ausbildungsabschnitt, mein Tertiat, verbrachte, konnte ich damals im Boston Globe und in der New York Times die Namen zweier Mitbrüder lesen: Franz Jalics SJ und Orlando Yorio SJ, der 2000 in Uruguay verstorben ist. Beide Jesuiten waren Mitte der 70er Jahre verhaftet, verschleppt, gefoltert und monatelang an einem geheimen Ort gefangen gehalten worden.

Bis heute sind Gerüchte nicht verstummt, Bergoglio habe sich nicht genügend für sie eingesetzt. Die Medien in den letzten Tagen waren voll davon. Beweise für die Anschuldigungen gibt es freilich nicht.

Der Vatikan sprach von einer Verleumdungskampagne. Mehrere glaubwürdige Prominente haben den Papst inzwischen verteidigt: Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel schloss ebenso wie der austrobrasilianische Bischof Erwin Kräutler kategorisch aus, dass er mit den damaligen Machthabern paktiert habe: "Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren, aber Bergoglio nicht". Leonardo Boff sagte, Bergoglio habe "viele gerettet und versteckt, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden". Auf der Website der deutschen Jesuiten stand bald eine Erklärung von Pater Jalics, der "mit den Geschehnissen versöhnt" ist und die Angelegenheit "als abgeschlossen" betrachtet7. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitungvom 17. März widmete Jalics' Geschichte zwei ganze Seiten.

Ein charismatischer Jesuit

Jorge Mario Bergoglio, geboren am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires, galt im Jesuitenorden, in den er 1958 eintrat, nachdem er zuvor eine Ausbildung als Chemietechniker absolviert hatte, als Multitalent: Bereits mit 37 Jahren wurde er Provinzial, in schwierigster Zeit, danach Rektor im großen Studienhaus San Miguel, in dem junge Jesuiten aus zahlreichen Ordensprovinzen aus ganz Lateinamerika studierten. Gleichzeitig war er Pfarrer.

Bergoglio, so erzählt man heute noch, führte das Kolleg im Stil der 50er Jahre, paternalistisch. Der charismatische Jesuitenpater wurde von den einen verehrt wie ein Heiliger, andere mieden den Kontakt zu ihm. Er galt als überlegter, planvoller Stratege, durchsetzungsstark, machtbewusst, als effizienter Organisator, gleichzeitig aber als fromm und im persönlichen Lebensstil bescheiden und authentisch.

Eine starke Persönlichkeit kann sich niemals nur Freunde schaffen, auch nicht im Orden. Die argentinische Jesuitenprovinz war einige Zeit polarisiert. Mit Alvaro Restrepo SJ musste ein kolumbianischer Jesuit als Provinzial in Argentinien eingesetzt werden, um die Spannungen zwischen den beiden Lagern abbauen zu helfen. Auch der Novizenmeister kam für einige Zeit aus einer anderen Ordensprovinz.

Ein Bischof auf Konfrontationskurs zu den Mächtigen

Pater Bergoglio wurde 1992 Weihbischof, 1997 Erzbischof-Koadjutor, 1998 Erzbischof von Buenos Aires und 2001 Kardinal. Seit 1992 unterliegt er damit nicht mehr der Jurisdiktion eines Jesuitenprovinzials oder des Generaloberen. Aber er bleibt Jesuit - und repräsentiert damit auch eine Geistigkeit, die der Kirche jetzt global zugute kommt.

Als Erzbischof hat sich Bergoglio mit dem von 2003 bis 2007 regierenden Präsidenten Néstor Carlos Kirchner († 2010) angelegt. Er prangerte Korruption, Misswirtschaft und Drogenhandel an. Dafür wurde er von der Regierung geschnitten. Auch mit der heutigen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ging er nicht gerade zimperlich um. Als Kardinal-Erzbischof, so die Präsidentin, sei Bergoglio "der eigentliche Chef der Opposition" gewesen. Spricht das denn gegen ihn?

Aus Anlass seiner Amtseinführung hat der Papst die mit einer Delegation angereiste Cristina de Kirchner umarmt und geküsst. Diese hatte seine Wahl zunächst mit Schweigen kommentiert. Hätte sie irgendeinen Beweis für eine juristisch verwertbare Verstrickung Bergoglios in Verbrechen der Militärdiktatur in der Hand - die Kirche hat sich für ihr Naheverhältnis zur Junta (wenn auch sehr spät) entschuldigt -, hätte sie ihm daraus längst einen Strick gedreht.

Option für die Armen

War die Agenda Benedikts XVI. "Glaube und Vernunft", so kann diejenige des neuen Papstes mit "Glaube und Gerechtigkeit" auf den Punkt gebracht werden - durchaus eine jesuitische Agenda. Als Jesuit und Bischof war Bergoglio ein "Pastoralista": Arme waren ihm ein Herzensanliegen, er nahm sie wahr, er intervenierte, er setzte sich ein. Die akademische Beschäftigung, etwa mit Befreiungstheologie, war ihm eher fremd.

Auf der Versammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz 2007 in Aparecida (Brasilien) spielte er, anders als der peruanische Kardinal Juan Luis Cipriani, eine gute Rolle und war im Redaktionskommitee des Abschlussdokuments, in dem auch Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras saß. Opus-Dei-Mitglied Cipriani zum Beispiel ist damals früher abgereist, weil er ein erklärter Gegner der Befreiungstheologie ist und etwas gegen Basisgemeinden hat.

Auf einer Pressekonferenz sagte Papst Franziskus konsequenterweise, er wünsche sich "una Chiesa povera per i poveri" - eine arme Kirche für die Armen. "Vergiß die Armen nicht", hatte ihm sein Sitznachbar im Konklave, der 79jährige brasilianische Kurienkardinal Cláudio Hummes OFM zugeflüstert. Dabei ist Bergoglio, wie er später kundtat, die Idee gekommen, sich Franziskus zu nennen8 - und Hummes nahm er mit auf die Benediktionsloggia.

Prunk, Zeremoniell, höfisches Getue scheinen dem neuen Papst fremd zu sein. Das haben manche, die sich an den liturgischen Stil seines Vorgängers gewöhnt hatten, bereits kritisiert. Weniger davon macht die Kirche jedoch sicher glaubwürdiger. Papst Franziskus kann den Armen ihre Würde zurückgeben. Und mit einfachen Worten und Gesten Akzente setzen. Darauf wartet jetzt die ganze Kirche, vielleicht auch ein Teil der Welt.

Reformen in der Kirche kamen immer nur zustande durch die Hinwendung zu den Armen. Das ist die große Chance dieses Pontifikats. Die ersten Personalentscheidungen werden zeigen, worauf der neue Papst setzt, welche Kompetenzen er sich holt, wissend, dass er selber nicht alle haben muss - weil er in erster Linie Hirte sein will.

Papst Franziskus ist 76 Jahre alt. Keine innovative Entscheidung, könnte man sagen, zumal es Kardinäle in den Sechzigern und sogar einige wenige Kandidaten unter 60 gab. Doch Übergangspäpste können, wie zuletzt Johannes XXIII. (1958-1963) zeigte, überraschen.

Am Abend seiner Wahl sprach er von den Kardinälen als seinen "Brüdern", er stellte sich als "Bischof von Rom" vor und lud ein, diesen "Weg" mit ihm im Gebet zu beginnen. Da war nichts Gekünsteltes, nichts Gespieltes - da war nur der echte Wunsch (und das war spürbar), sich für die Kirche einzusetzen und besonders den Armen Rückendeckung zu geben. Papst Franziskus wünscht sich, für die Kirche fruchtbar zu sein. Fruchtbarkeit, nicht Leistung - das ist durchaus eine ignatianische Perspektive.

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